Auf der Suche nach einem Mittel der Wahrnehmung...
Gedankenstrich 81
@DerBilalPersönlichkeit - Wandel im Leben - Identität - Geist und Seele. Vielleicht sind das die Stichworte, um die sich die Dispute mit Bilal drehen. Sie umfassen sehr, sehr viel. Und ich merke, dass mir Bilals Fragen, Antworten und Erwiderungen ans Herz gewachsen sind. Da ist irgendwo JEMAND:
Ich habe auf meiner Homepage eine PDF-Datei veröffentlicht, in der ich die Entwicklung unseres Dialoges wiederzugeben versuche. Natürlich dokumentarisch und nicht zitierend! Und immer wieder stoße ich auf Sätze sowohl von dir als auch von mir, die mich rühren und die ich neu überdenke und neu verstehe. Ich bin zuletzt und momentan an einem Punkt angelangt, an dem ich, was Form und Medium des Philosophierens betrifft, sehr glücklich bin. Wir können uns mit den heutigen Möglichkeiten doch wirklich sehr glücklich schätzen. Das Printmedium ist eine neben anderen Möglichkeiten, die sich ergänzen, ineinandergreifen und zu einem weitaus organischeren Denken führen, als wenn man nur das Buch und die Schrift hätte.
Es waren durchaus die Bilal-Dispute, die mich bei meinem letzten Vollmondtalk bewegt haben, so zu sprechen, wie und was ich gesprochen habe. Improvisiertes Denken vor der Kamera.Das allgemeine geistige Niveau auf ask.fm ist in beklagenswertem Zustand. Ich habe immer wieder betont, dass mein Schreiben hier völlig unabhängig davon geschieht, weil ich das technische Medium sehr gut finde. Dazu habe ich auch noch zwei weitere Gedanken: 1. hatten die Klassiker in Weimar und Jena im 18. Jahrhundert ein besseres geistiges Niveau um sich herum? 2. Ohne ask.fm hätte es auch den Dialog mit @DerBilal nicht gegeben und viele andere Dialoge und Internetfreundschaften nicht. Wenn ich auf die Straße gehe, kann ich mich nicht mit jedem Menschen anfreunden, mit einigen aber sehr wohl, und ich kann Freunde sowie Gleichgesinnte oder Gleichgestimmte oder an mir interessierte Menschen treffen und Dialoge führen, Freundschaften schließen. Immer wieder reflektiere ich auf der Metaebene das Medium und gerne auch mein eigenes Denken und Schreiben, wenn ich mich aus dem Sumpf meines Ichs herausziehen kann. Dazu reicht mir u.a. Bilal seine Hand, aber hoffentlich auch ich ihm, da er mir auch schrieb, er sei nicht zu meiner Belustigung auf ask. Nein, Handreichungen sollten schon bilateral sein.Ich bin friedlich und harmonisch gestimmt. Das intellektualistische Herumzappeln in Begriffen kommt zur Ruhe und kann hoffentlich von mir in ruhigeren und gelasseneren Zügen fortgeführt werden. Ich zitierte vor der Kamera Schopenhauer und dessen Zitation von Goethe: «Das eigentliche Leben eines Gedankens dauert bis er an den Grenzpunkt der Worte angelangt ist: da petrificiert (Fossilien) er, ist fortan todt, aber unverwüstlich, gleich den versteinerten Tieren und Pflanzen der Vorwelt. [...] Sobald nämlich unser Denken Worte gefunden hat, ist es schon nicht mehr innig, noch im tiefsten Grunde ernst. Wo es anfängt, für andere dazusein, hört es auf, in uns zu leben; wie das Kind sich von der Mutter ablöst, wann es ins eigene Dasein tritt. Sagt doch auch der Dichter:
Ihr müsst mich nicht durch
Widerspruch verwirren!
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren.»
Doch, doch das Irren und Sprechen und sprechend und schreibend Irren - das gehört auch zum Leben ;)
Gedankenstrich 82
15. Mai 2023 Wundervoll ist es, als "postmoderner Romantiker", wie ich mich mal zu bezeichnen gewagt habe, ein blaues Herz als Symbol für Gedankenraum zu erhalten. Da ist doch ein Gedankenstrich weitaus unromantischer, so nüchtern, so linear - geradezu langweilig. Irgendwo in den Tiefen meiner Fragensammlung habe ich auch die Frage, worüber ich stundenlang sprechen könne. Über sehr vieles könnte ich das und neuerdings, seit einem Jahr habe ich auch den Spaß entdeckt, stundenlang vor der Kamera zu sprechen; ich ahnte nicht, dass mir das so viel Spaß machen würde. Dazu gibt es auch eine Geschichte, die ich unbedingt erzählen möchte, mal sehen, ob der Platz dafür hier überhaupt ausreicht. Denn schließlich möchte ich ja auch etwas über die "postmoderne Romantik" sagen.
Ich bin so vieles in einer Person - mehrere - ja, zu viele Seelen wohnen in meiner Brust, in diesem blauen Herzchen, was kräftig für Literatur, Kunst, Philosophie, Gesellschaft, Menschliches allzu Menschliches, Politik, Kultur schlägt. Das muss ich konstatieren, wenn ich mich selbst unter einem kulturgeschichtlichen oder ideologiegeschichtlichen Begriff ("Postmoderne Romantik") einordne. Man könnte natürlich auch sagen: «Ach nimm dich doch nicht so wichtig! Dein Geschriebsel hat kulturgeschichtlich überhaupt keine Bedeutung!» Aber warum reden wir nur immer alles klein und nichtig, anstatt uns wohlwollend uns selbst und unseren Mitmenschen zuzuwenden, denn letztendlich kann heute niemand wissen, was wann populär und von "Bedeutung" sein wird. Ich nehme gerne Friedrich Hölderlin als Beispiel: er ahnte nicht im Leisesten etwas davon, dass er literatur- und kulturgeschichtlich, so legänder werden würde, als er seine Gedichte, seinen "Hyperion"-Roman schrieb, sich in Suzette Gontard verliebte und irgendwann im Turm von dem jungen Dichter Waiblinger, besucht wurde. Und natürlich ist es auch der Welt völlig egal, dass ich in Waiblingen aufgewachsen bin, Tübingen und das Türmchen kenne und in meiner Jugend mich durch die Kneipen in Tübingen gesoffen und nicht mehr gewusst habe, wo ich mein Auto geparkt hatte, weil ich ja zu Fuß in die Herberge der Tagungsstätte ging mit meinen Kumpels, die sich am nächsten Tag auf die Suche nach dem Auto machen mussten und ich mit dickem Kopf der Wochenendtagung folgen sollte, weil ich der "Verkopfteste" von uns dreien war - angeblich ;) Und heute weiß ich nicht einmal ganz genau, worum es bei der Tagung ging - es war jedenfalls eine der JUSOs und wir entwarfen ein "Spiel des Lebens" als Brettspiel. So war eben manchmal nicht nur mein Herz blau, sondern auch mal ich ganz selbst. Jedenfalls tauchte das Auto wieder auf, ein orangener VW-Käfer, auf den ein Schulfreund ein "Anarcho-Männchen" von Seyfried gemalt hatte, was gerade eine kugelrunde Bombe fallen ließ. Ich muss an diese Zeit zurückdenken, weil mein Abijahrgang zum 40. Jahr sich treffen will und ich abgesagt habe. Ach, mein blaues Herz ist so schwermütig. Ich fühle mich als ein Hölderling!
Gedankenstrich 83
Ich bin fast 25 und habe immer noch keine Ahnung, wer ich bin oder wo ich im Leben hingehöre. Was kann ich tun?
Ich möchte Dir aus meinem heutigen Tagebucheintrag antworten, weil ich 60 Jahre alt bin und mich deine Frage noch immer beschäftigt. Vielleicht bekommen wir doch noch eine Ahnung davon, was zu tun sei; die einfache in Worte gefasste Regel dazu stand schon vor dem Eingang zum Delphischen Orakel: ERKENNE DICH SELBST!Ich beginne meinen Tag, gut ausgeschlafen, um kurz vor sieben mit Kaffeekochen und etwas Geschirrspülen. Ich arbeite immer nur Häppchenweise, ganz egal, was ich mache. Ich mache es nur so lange, bis ich keine Lust mehr habe. Abwechslung in den Tätigkeiten und Abläufen laugt nicht so aus, ich bleibe entspannt und kräftig und alles kommt voran und ich habe ein sehr gutes Gefühl dabei, genieße die Freiheit, meinen Rhythmus zu haben und nicht den der Galeere. Das Gefühl zu haben, im natürlichen Fluss des Lebens sein zu dürfen und den Kräften zu vertrauen, die das Leben fördern und Fügungen sich ergeben lassen, stärkt mich. Gelassen und furchtlos stelle ich mich dem, was sich mir in den Weg stellt, aber erst dann und nicht in Vorwegnahme irgendwelcher ausgedachten Eventualitäten. Voraussicht und ängstliches Ausmalen von Dingen, die passieren könnten, ist nicht dasselbe! Ich will nicht leichtsinnig werden, aber ich will mich auch nicht in Eventualitäten ängstlich verlieren. Das alles lerne ich durch die Spaziergänge mit Diego, wie ich auch vielen Menschen begegne und mein Kommunikationsverhalten wächst. Das Gefühl, in der Welt und im Leben zu stehen und meine eigene wie eigenwillige Position zu finden, ist mir wichtig. Zugleich habe ich gestern Abend das Gefühl einer Ahnung, warum ich nicht im Establishment des Kulturbetriebes ankomme, als ich mir die Talkrunde mit Roger Willemsen und Rüdiger Safranski im Schweizer Fernsehen auf Youtube anschaue.
Ich suche etwas anderes; ich suche das Leben, das sich unter der konventionellen Ordnung abspielt. Das Leben, das die Konventionen und ihre Ordnungen und Ordentlichkeiten hervorbringt und Normen schafft sowie Normen gehorcht. Ich will aber, warum auch immer, hinter dieses Gehorchen kommen, hinter die Normen, Konventionen, Vorschriften, Regeln. Ich will die inneren Regeln der Vitalfunktionen erkennen und danach mich neu ausrichten wie ein Flussschiffer, der seinen Kahn im Fluss steuert - selbstbestimmt. Ich habe intuitiv eine genaue Ahnung, wohin ich will. Das war nicht immer so. Das erscheint mir neu. Bisher spürte ich immerzu und immer nur, wohin ich intuitiv doch nicht will, obwohl mir das Bewusstsein sagte, dass dort das zu erstrebende Ziel sei. Das zu erstrebende Ziel deckte sich keineswegs mit dem von mir intuitiv gesuchten. All die Prokrastination entstand dadurch, dass mir die Deckungsgleichheit zwischen meinem Willen und dem mir (äußerlich) Vorgestellten fehlte. Es waren meine und Es waren meine und doch auch nicht meine Vorstellungen, weil es auch internalisierte Fremdvorstellungen waren. Gesellschaftliche Vorgaben, Konventionen, wie "man zu sein hat"...
Teil 2 der Antwort an den 25-jährigen Menschen aus meinem heutigen Tagebuch. Es geht um den Fluss des Lebens und darum, ob wir Galeerensklaven sind oder freie Bootsleute, Kapitäne unseres eigenen Lebensschiffes...
Es waren meine und doch auch nicht meine Vorstellungen, weil es auch internalisierte Fremdvorstellungen waren. Gesellschaftliche Vorgaben, Konventionen, wie "man zu sein hat", wenn man dies und jenes sein will. Diese Konventionen generieren die Menschen. Und diese Aussage ist Doppeldeutig: wer generiert wen? Die Menschen die Konventionen, oder die Konventionen die Menschen? Genau in dieser Dialektik gilt die Aussage: beides stimmt."Dialektik" heißt: die Dinge sind dynamisch zu verstehen, in ihrer Bewegtheit und ihren Energien und wechselseitigen Abhängigkeiten (Interdependenzen).
Ich wünsche uns allen, die das Lebendige im Leben suchen und keine Galeerensklaven sein wollen, viel Glück und Erfolg.
Erkenne dich selbst!
Gedankenstrich 84
Das Bild des Lebensflusses und der Galeere, der Metaphernkreis Fluss, Lebensströme, Galeeren, freie Kapitäne des eigenen Schiffs, selbstbestimmte Segler oder Gefangene, die für andere sklavisch rudern und ihre Energie hergeben müssen, Gefangene wie lebende Batteriezellen in Glassärgen wie in "Matrix"
Wir müssen das Wort "Selbsterkenntnis" neu deuten; was gemeint ist, wird deutlicher, wenn ich den delphischen Spruch etwas umformuliere: Erkenne DEIN Selbst! Diese Bedeutungsdifferenzierung zwischen "Ich" (Ego) und "Selbst" rührt von der Psychologie her und schafft neue Deutungsmöglichkeiten. Mit "Ich" ist in der Psychoanalyse nach Freud eine "Struktur des seelischen Apparates" gemeint. Das Ich steht zwischen "Es" und und der Umwelt und Gesellschaft. Das "ES" wird bei Freud vorwiegend als "Trieblehre" bearbeitet und soll die vitalen Triebe der Lustsphäre beschreiben, wird in der Regel in erotische und aggressive Komponente unterteilt. Dem angeborenen "ES" steht die Gesellschaft mit Normen, Kultur, Konventionen etc. entgegen und zuvörderst die Lustinteressen des Vaters, der Anspruch auf die Ehefrau und Mutter erhebt und mit dem Kind übermächtig konkurriert. Der Vater wird zum Repräsentant gesellschaftlicher Normen und formt wesentlich das "ES" so, dass es mit dem ICH als Zwischeninstanz zwischen Triebwelt und Gesellschaft vermittelnd mehr oder minder sanft das Triebleben reguliert und moderiert. Die im Reifeprozess der Persönlichkeit verinnerlichten Normen patriarchal-sozialer Art wirken nach Freud im "ÜBER-ICH". Dieses "ÜBER-ICH" kann teilweise pathologische Formen annehmen und das "ICH" grausam unterdrücken, wenn es in seinen Aufgaben zu nachgiebig dem "ES" gegenüber erscheint. Eine Detailkritik in Ausführlichkeit dem Freudschen "Abriss der Psychoanalyse" gegenüber, ist so vielfach geleistet worden, dass es hier obsolet erscheint, noch einmal diese Kritik durchzuführen. Wieviel Patriarchales Freud selbst verinnerlicht hat, springt aus zeitlicher Distanz immer deutlicher ins Auge, worauf es hier ankommt, ist, dass es zwischen dem Lustbereich und der gesellschaftlich gestalteten Persönlichkeit, also dem "ICH", das sowohl Identität stiftet, als auch Lust reguliert, eine Diskrepanz gibt. Man könnte auch sagen: das "ICH" ist die gesellschaftlich und moralisch überformte Lust, die geweckt, kanalisiert, modifiziert oder reguliert wird. Und das ICH hat die diplomatische Mission der Vermittlung, was geht, was später oder in anderen Kontexten geht oder was gar nicht geht, was verboten oder tabuisiert ist. Wenn man von diesem Modell ausgeht, platziert sich das Selbst im Bereich der Lust und ihrer komplexen Strukturiertheit. Das Wort bezeichnet aber deutlich mehr als das Freudsche "ES".
Das Subjektive ist ein Produkt aus Selbst, ES, ICH und äußerem Kontext, der Wirklichkeit bzw. Realität. Das der Realität bzw. Wirklichkeit Zugrundeliegende oder Unterworfene, Realität in Interdependenz mit dem Äußeren Erschaffende und vom Äußeren Erschaffene.
Gedankenstrich 85
Da schaut man nach Wochen mal wieder arglos hier in die Runde, und was sieht man ? Der neureiche Herr Bülbül räkelt sich wohlig im "Lila Salon"... Nichts gegen etwas Glanz und Glimmer alter Freund, aber man kanns auch übertreiben. ( selbst der Hund muss sich das Lachen verkneifen )
Nur nicht das Lachen verkneifen! :))) Und ich dachte schon, Sie hätten als Otto der richtig gute Zauberer Ihre Finger im Spiel. Als wäre es nicht genug, dass Sie mich reichlich mit feurigen Münzen beschenken, hätten Sie mich in einem Anfall von Wohltätigkeit oder Gemeinheit??? - denn sehen Sie: die Dinge liegen nah beieinander - in den Lila Salon gezaubert. Raus aus meinem Gartenhäuschen, hinein in den Lila Salon! Ein böses Erwachen sozusagen bei meiner Wenigkeit! Denn ich bin doch mit meiner Laubenromantik voll und ganz glücklich und wähne mich im Paradies und da verschlägt es mich in den "Lila Salon"! Und genau meine Gedanken sprechen Sie aus, alter Freund und richtig guter Zauberer: Nichts gegen einen Kaminofen in meiner bescheidenen Hütte, aber was bitte schön, soll ich in einem "Lila Salon" vor dem Kachelofen??? Da gehöre ich doch nun wahrlich nicht hin! Ich will bei meiner Laube bleiben, worin ich mein bescheidenes Glück mit meinem besten Kumpel und Seelenfreund auf vier Beinen (er, nicht ich^^) prima genießen kann. Und dann das: Der neureiche Herr Bülbül räkelt sich wohlig im "Lila Salon"... Furchtbar!!!
Gut, dass Sie sich melden und sich frei von jeglicher magischer Schuld als richtig guter Zauberer sprechen! Also Sie waren das gar nicht???
Dann muss die Wahrheit woanders liegen! Ist doch alles Bühne für meinen Vollmondtalk mit Diego Li und Gästen. Und anlässlich des Juni-Mondes sprachen wir über den HONIGMOND! Die Süße und Schönheit des Lebens! Und es ist doch so, dass wir die Arbeit eines Bienenvolkes, die hinter dem süßen Honig steckt, beim Naschen niemals vergessen sollten! Unter anderem wie die Dronen aus dem Nest vertrieben werden, wenn sie die Eier der Königin befruchtet haben! Und dann all die fleißigen Arbeiterinnen, die sammeln und sammeln und umherfliegen auf Erkundungen und nicht selten dabei auch ihr Leben lassen! Das schöne Leben ist eben kein Honigschlecken - zumindest nicht nur ;)
Es grüßt Sie in einem Willkommensgruß Ihr neureicher Theater- und Gartenphilosoph aus dem Lila Salon!
Ohne Ihre Einwürfe ist es öd im ask-Land, Meister Otto!
Gedankenstrich 86
Du wachst in der Früh auf, schlägst die warme Decke zurück, setzt dich auf die Bettkante und denkst... ?
Nein, das kann so nicht passieren. Ich wache in der Frühe auf, ja. Mein innerer Wecker ist etwa auf 6.00 Uhr eingestellt, ganz ohne äußere und gesellschaftliche wie wirtschaftliche Zwänge hat sich das so ergeben; mein Lebensrhythmus hat sich verschoben; Nein, ich schlage nicht einfach die warme Decke zurück. Sie hüllt mich ein, wärmt mich und ich brauche sie nach dem Aufwachen erst recht! Ich versuche durchzuatmen, den Druck auf der Brust, die Angst - diese existenzielle Verzweiflung und Not von mir zu wälzen, das geht nicht ohne die Hilfe der warmen Decke. Sie ist die einzige Schutzhülle, die ich im Moment des Erwachens fühle. Auch wenn das Tarot-Bild dieses Monats mit der Neun der Schwerter mir das Sitzen auf der Bettkante zeigt, bleibe ich erst einmal liegen. Ich muss in meinem Bewusstsein, das zu sich kommt, Kräfte sammeln für den Lebensmut des Tages, die Melancholie relativieren, den Weltschmerz über den Zustand der Welt, der mich als durchaus politisch denkenden Menschen auch als Individuum einholt, etwas eindämmen, zu lindern versuchen, mich für den Tag innerlich aufrichten. Das geht nicht auf der Bettkante. Das geht nur im Liegen. Kriege, Frontberichte der Journaille, als wären es Sportereignisse, kein Aufschrei der Empörung über die Dummheit der Politik, stattdessen Meldungen über Staudammbombardierungen, über Tausende von flüchtenden Menschen, parteinehmende politisierte moralische Empörung über die eine Seite gegen die andere, um Kampfhandlungen zu rechtfertigen, Waffenlieferungen, angebliche Staatsinteressen usw. usf. Was vollkommen auf der Strecke bleibt, ist das mögliche menschliche Leben in Frieden und gut gesicherter und entspannter Existenz, um sich friedlich weiterzuentwickeln. Nein, das sind nur die Träume eines Geistersehers. Ich kann individuell nur Melancholie empfinden und zum Ausdruck bringen, da in der politischen, staatlichen, institutionalisierten Welt, in der Gesellschaft kein Geist des Friedens, der Vitalität, des Lebens und Lebendigen schaltet und waltet, sondern ein todessehnsüchtiger nekrophiler Wahnsinn. Meine Bettdecke ist die einzige Schutzhülle, die mich wärmt und ermutigt, meine Kräfte zu sammeln, zu meinem Bewusstsein zu finden, das weiter philosophieren will, schreiben und seinen Alltag zumindest so ordnen, dass meine Liebsten um mich herum und ich auch den heutigen Tag überstehen können, ohne den Verstand und den Mut zu verlieren, ohne mir zutiefst und entmutigend bewusst zu werden, was die Schlagzeilen in den Medien bedeuten und worauf sie hinweisen. Ich mache mir bewusst, dass ich das unbeschreibliche Glück habe, in einem Teil der Welt zu leben, in dem es einen Garten geben kann, einen Gartenverein, etwas gesicherte soziale und ökonomische Sicherheit, Warenangebot im Überfluss, keine unmittelbare Lebensgefahr. mehr Glück kann man nicht erwarten - heute nicht und morgen erst recht nicht! Ich kann meine Sprache wieder richten, um meiner Trauer Ausdruck zu verleihen ohne die Hoffnung auf Besserung der Welt.
Gedankenstrich 87
Wie geht es dir
Google antwortet auf Sentimentalität u.a. damit:
«Sentimentalität ist eine Gemütsverfassung, die durch Rührung gekennzeichnet ist. Sie nimmt ihren äußeren Anlass zum Vorwand, um sich dann in sich selbst hineinzusteigern; also ein Schwelgen in meist wohligen, sehnsüchtigen, romantischen und leidenschaftlichen Gefühlen, aber auch Melancholie.» (Wikipedia)
Da fällt auch das Stichwort, was meine Gemütsverfassung am besten trifft, wenn ich auch gerne das Wort «Weltschmerz» benutze, um damit noch einmal extra zum Ausdruck zu bringen, dass mich die Weltlage schmerzt. Die "Weltlage" fängt bei Freunden und Kollegen an, wenn ich mal die Familie beiseite lasse, der Zustand der Politik, der Demokratie, der Staaten in der Welt, das Klima, die Kriege, die Wirtschaft, die Umweltzerstörung ziehen weitere Kreise. Es kam, wie es nicht kommen musste, er kommt, wie es nun wirklich weder sein darf noch sein kann, und man kann fragen: Wen wundert's? Warum wunderst du dich? Und warum nimmst du alles so schwer?
Darauf kann man antworten: Weil ich so sentimental bin!
Schauen wir auf die Definition: «Sie nimmt ihren äußeren Anlass zum Vorwand». Vorwand ist kein triftiger Grund, sondern nur vorgeschoben! So werden die äußeren Anlässe zur Trauer, Depression, Bedrücktheit, Unsicherheit und Gerührtheit vom Tisch gewischt. Dann lässt sich's auch leicht sagen: «Ach, du bist ja (nur) sentimental!» Und schon kann man auch von der Empfindsamkeit mehr Tatendrang, Zweckoptimismus und Ignoranz verlangen.
Ich bin aber in meiner ganzen Melancholie so stark wie Sisyphos! Ich kenne die Lage, die aussichtslos ist und ergebe mich nicht der Trauer, nicht der Empfindsamkeit, habe auch Wut und wenn nötig die nötige Aggression und Durchsetzungskraft, Mut zu handeln und Mut auszuhalten, was noch ausgehalten werden muss; ich versuche zwischen den Dingen, die ich ändern kann, noch nicht ändern kann und die unabänderlich sind, sauber zu unterscheiden. Nein, die äußeren Anlässe sind kein Vorwand! Sie sind die Realität, die auf mich und andere Subjekte ebenfalls einwirken und deshal wirklich wie wirksam sind.
In dieser Situation ist das erforderlich, was auch lange und systematisch durch den Positivismus und ökonomischen Materialismus pervertiert wurde: Vernunft. Vernunft, nicht als rationalistische Begriffshantiererei und Argumentationsjonglage (andere Wörter für "Klugscheißerei", sondern als empathische Pragmatik. Darüber denke ich nach, stehe zu meiner Sentimentalität, die zur Melancholie führt, lehne die Behauptung ab, dass äußere Anlässe nur als Vorwand dienen und rolle wie Sisyphos meinen Stein. Noch nie waren absurde Helden so wichtig wie heute.
«Die Welt könnte besser sein, wenn menschliches Macht- und Gewinnstreben weniger Bedeutung hätten. Die Regierungsform der Demokratie soll diese Bedeutung eigentlich einschränken, doch derzeit kann man nicht hoffen, dass unsere Volksvertreter das Wohl der Menschen als oberstes Ziel sehen»,
schreibt mir eine Freundin und ich sage: Nein!
Gedankenstrich 88
Es ist erstaunlich, welche geistige Nähe und thematischen Überschneidungen es zwischen dem Onomato-Verlag und mir gibt. Hier nicht nur ein Verweis auf die Seiten und Produktionen des Verlages, sondern auch auf die Gedankengänge des Verlegers Axel Grube... ein Gedankenstrich an mich selbst:
16. Juni 2023
Ethische Musikalität
»Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen läßt, die Ethik ist transzendental«. Dieser Satz von Ludwig Wittgenstein führt uns zu der Frage, wie eine Ethik in der Moderne überhaupt noch denkbar und auszuprägen ist, wenn wir, wie Hannah Arendt in ihrer Vortragsreihe »Some Questions about moral philosophy« beschreibt, erleben müssen, wie eine Gesellschaft die sich als in einer humanistischen Tradition stehend versteht, innerhalb von wenigen Jahren seine ethischen Grundsätze völlig aufgeben und verkehren kann.« (Axel Grube, onomato-Verlag im Text zum Video: https://youtu.be/Z9YfnnI3b0E)
Der Begriff der "ethischen Musikalität", überhaupt der Musikalität von Gedanken, Theorien erscheint mir in dem Zusammenhang der Forderung von Antonin Artaud im Theater das Leben hinter den Zeichen zu berühren, sehr interessant. Während Artaud die Affinität zum Tanz im Theater sucht, hat Grube die Affinität der Gedanken und des Denkens zur Musik. Das ist vergleichbar mit Nietzsches Musikalität in der Formel, die ihm als Überschrift zu einer Abhandlung dient: «Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste Musik».
Es geht nicht in erster Linie um Ethik im herkömmlichen Sinne. Es geht nicht um die theoretische, philosophische reflektierende Begründung der Moralien und moralischer Grundsätze, Handlungs- und Urteilsweisen. Die "Moral" hat sowohl bei Nietzsche als auch im alltäglichen Sprachgebrauch eine vitalistische, lebensenergetische Komponente, eine, die man auch den "Willen" nennen könnte, wenn man "Wille" nicht mit bewusstem, intentionalen, zielgerichteten Streben und Handeln gleichsetzen wollte, sondern im Schopenhauerschen Sinne begreifen würde. Der Wille bei Schopenhauer ist eine dem Individuum übergeordnete aber in seinem Leben ihm innewohnende Energie. Diese Energie sieht Nietzsche als eine treibende Kraft zur Macht, als einen "Willen zur Macht". Dabei kann aber auch der Begriff der "Macht" nicht unerklärt bleiben, und diese Klärung in der Erklärung, könnte auch wiederum auf die Ethik verweisen. Die "Moral" hat neben der ethischen Seite auch die der Begeisterung, des Engagements, der Lebensfreude und der Lebenseinstellung. Eine "sinkende Kampfmoral" bezieht sich nicht unbedingt auf Ethisches, sondern meint, dass man den Mut verliert, die Motivation nachlässt, den Sieg zu erringen, eine gewisse Aussichtslosigkeit im eigenen Streben spürt und dadurch hoffnungslos wird. Jemanden moralisch zu unterstützen und wieder aufzubauen, bedeutet eben dann auch, die Motivation in ihm zu stärken und wieder aufzumuntern. Man stärkt die Motivation nicht dadurch, dass man ethisch moralischen Druck aufbaut, was mit der Geste des erhobenen Zeigefingers verbunden wäre und mit der Aufforderung: "du sollst", "du darfst nicht (aufgeben)!" Die Sinnfrage der gesunkenen Moral aber sucht andere Antworten als in der Geste des erhobenen Zeigefingers und in der der Ermahnung. Nimmt man den späteren Wittgenstein mit in die Betrachtungen hinzu, wird auch die Bedeutungsvielfalt deutlich.
Gedankenstrich 89
Ich schenke mir einen Gedankenstrich und nicht nur einen Gedankenstrich, sondern auch die erst euphorisch empfundene geistige Nähe zu Axel Grube und seinem onomato-Verlag. Das klingt wie eine schroffe Distanzierung, aber soll doch nur ein Zurechtrücken sein.
22. Juni 2023
Die Idee der «Musikalität von Gedanken bzw. Denken» ist sehr schön. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf ein vitales Phänomen, dass nämlich Gedanken auch einen Rhythmus, eine Tonart, eine eigene Melodie haben. Wir könnten natürlich auch von Farben der Gedanken sprechen oder vom Geruch. Wem es noch nicht auffällt, sei es noch einmal ausdrücklich gesagt: das ist ein typischer Gedanke aus der Romantik unter dem Begriff der SYNÄSTHESIE.
Axel Grube hat also mit der ethischen Musikalität nichts wahnsinnig Neues gedacht. Das muss auch nicht sein und das spricht auch nicht gegen einen Gedanken, dass andere ihn zuvor auch so oder ähnlich gedacht haben; eine meiner philosophischen Fragen richtet sich darauf, wie sich Gedanke zur Sprache verhält, genauer: zu seiner Versprachlichung. Schopenhauer hatte in seiner Schrift über die Schriftstellerei einen skeptischen Ton in dem Verhältnis Sprache-Gedanke von Goethe übernommen: «Das eigentliche Leben eines Gedankens dauert bis er an den Grenzpunkt der Worte angelangt ist: da petrificiert (Fossilien) er, ist fortan todt, aber unverwüstlich, gleich den versteinerten Tieren und Pflanzen der Vorwelt. [...] Sobald nämlich unser Denken Worte gefunden hat, ist es schon nicht mehr innig, noch im tiefsten Grunde ernst. Wo es anfängt, für andere dazusein, hört es auf, in uns zu leben; wie das Kind sich von der Mutter ablöst, wann es ins eigene Dasein tritt. Sagt doch auch der Dichter:
Ihr müsst mich nicht durch
Widerspruch verwirren!
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren.»
Ich hatte dies schon im Gedankenstrich 81 zitiert. Ich mache bei dieser Gelegenheit einen Sprung von meinem Gedankenstrich 81 zu meinem Gedankenstrich 18, wo ich mich schon fragte, ob ich Schopenhauer untreu würde, wenn ich Hegels Sätze als Poesie mit Rhythmus, Melodie, Musik betrachtete. Auch da wird auf die Musikalität des Denkens und der Gedanken angespielt, als ich noch gar nichts vom onomato-Verlag wusste.
Es gibt, und darauf kommt es nun wirklich an, etwas Wichtigeres als individuelle Formulierungen und individuell originäre Gedanken. Das könnte man auch als eine Form des Idealismus betrachten: Subjekte formulieren Gedanken, die ihnen als Idee übergeordnet sind. Positivistisch, materialistisch lässt sich fragen und diese Frage hat durchaus etwas Polemisches (einen polemischen Unterton, um wieder auf die Musikalität zu kommen) an sich: wo befinden sich denn diese Ideen, wenn nicht in Büchern, Köpfen und Gedanken der Menschen?
Meine Antwort darauf ist erst einmal: wo auch immer! Das lenkt von dem erst benannten Phänomen ab, dass verschiedene Subjekte Urheber eines Gedankens sein können, dem eine Idee zugrundeliegt, die sie unterschiedlich als Gedanken formulieren, der im Grunde denselben gedanklichen sprich ideellen Kern hat. Man muss also gar nicht die Texte des anderen kennen und gelesen haben, um auf dieselben Gedanken zu kommen; man kann auch die Musikalität des Denkens entdecken, ohne die romantische Synästhesie zu kennen.
Gedankenstrich 90
Axel Grube zitiert Walter Benjamin: »Kafka mußte die Wahrheit preisgeben, um die Tradierbarkeit zu retten ...« und ich schaue mir nicht nur die Melodie der Gedanken an, die mir etwas zu salbungsvoll erscheint. Ist das reine Geschmackssache?
22. Juni 2023
Ich will versuchen, mehreren Linien von Brüchen im Eis zu folgen, die dort entstehen, wo die Eispickelspitze zuerst aufschlägt, sagt doch Franz Kafka: «Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns». Mein Seelenleben als Arktis? Da ist also der Name Kafka, in meiner Schulzeit musste er nicht gelesen werden, vielleicht waren einige und ich deshalb so begierig, Franz, den Schatten in den nächtlichen Straßen der Großstadt als keimende provinzielle Kleinstadtintellektuelle zu lesen. Zu "lesen"? Nein, zu konsumieren! Kafka war eigentlich eine literarische Drogenerfahrung. Sätze wie «»Was wollen Sie denn? Wollen Sie Ihren großen, verfluchten Prozeß dadurch zu einem raschen Ende bringen, daß Sie mit uns, den Wächtern, über Legitimation und Verhaftbefehl diskutieren? Wir sind niedrige Angestellte, die sich in einem Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts anderes zu tun haben, als daß sie zehn Stunden täglich bei Ihnen Wache halten und dafür bezahlt werden. Das ist alles, was wir sind, trotzdem aber sind wir fähig, einzusehen, daß die hohen Behörden, in deren Dienst wir stehen, ehe sie eine solche Verhaftung verfügen, sich sehr genau über die Gründe der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen Irrtum. Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen und muß uns Wächter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo gäbe es da einen Irrtum?« »Dieses Gesetz kenne ich nicht«, sagte K.»
Sagt K. das störrisch, kritisch, sagt er es in einer Auflehnung, als wollte er noch hinzufügen: «als Bankangestellter im höheren Dienst kenne ich mich mit Gesetzen gut aus»? Da steht vom Wächter ausgesprochen in der morgendlichen Diskussion, an jenem Morgen, an dem das gewohnte Frühstück ausbleibt, einer der Wächter. Gibt es einen schriftlichen Haftbefehl? Wird er K. gezeigt? Hat er eine Chance, den Wortlaut der Beschuldigung zu hören? Nein. »Unsere Behörde [...] wird [...] von der Schuld angezogen und muß uns Wächter ausschicken. Das ist das Gesetz.«
Man muss also, könnte die Botschaft lauten, die Schuld bei sich suchen. Für Anfänger Freudianer galt: K. wird mit dem grausam gewordenen Über-Ich konfrontiert. Es ist der Apparat in einem selbst, der als Mühlen der Justiz zu mahlen beginnt. Das Gesetz ist in diesem Fall wie ein Naturgesetz, wie die Gravitation, Massenanziehung oder so etwas: eine Schuldanziehung! Man gleitet angesichts dessen nicht in den salbungsvollen Ton eines Eingeweihten, eines philosophierenden Esoterikers, sondern fragt Franz Kafka: «Hast du nicht auch einen Text geschrieben, der "Vor dem Gesetz" heißt?» Und "vor dem Gesetz" ist nicht temporal gemeint! Etwa wie: «Vor dem Gesetz herrschte totales Chaos»! Vielmehr steht man nicht von Angesicht zu Angesicht vor einem Richter als Menschen, sondern vor einem Pult, das höher ist als der Turm zu Babel.