Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 

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22. Mai 2023


Nachrichten aus dem Büro

22. Mai 2023
Autorenselbstgespräche mit Diego Li

Während ich eifrig an den Gedankenstrichen weiterarbeite und die Gedankenstriche 41-43 über- und ausarbeite, drängt es mich zugleich, die Gedanken zum "Offenen Kunstwerk" zu präsentieren. Die Offenheit besteht nicht zuletzt darin, dass der Prozess so sichtbar ist, dass andere darauf reagieren und mit Kritik, Anregungen, Fragen, Bemerkungen eingreifen können. Es gibt eine Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit - und ich sehe einen Unterschied zwischen Abgeschlossenheit und Geschlossenheit. Das Abgeschlossene hat etwas Versteinertes, Fossiliertes, Beendetes und Vergangenes - das Leben ist dem Abgeschlossenen soweit abhanden gekommen, dass nicht einmal Fäulnis- und Zerfallsprozesse stattfinden. Das Werk steht als ein abgeschlossenes Werk! Es ist ein Fossil.

Demgegenüber das offene Kunstwerk. Es lebt, es wächst, es verstoffwechselt Impressionen, Informationen, Expressionen. Es lädt zu Interaktionen ein oder fordert sie heraus. Der Umstand, dass dem manche Menschen feindselig gegenüber stehen, ist ebenso wenig neu wie die Idee des Offenen Kunstwerks selbst. Schon der erste Kommentar bei drei erfolgten Aufrufen meiner unbearbeiteten Fassung zeigt dies. Vielleicht zeigt es auch, dass es eine größere Feindseligkeit gegen mein Wirken gibt, dessen Urheber und Ursache ich zwar zu kennen meine, was ich aber was hier noch nicht der Rede wert ist. Die Postdramatik im Katakomben-Theater war schon der Versuch am Offenen Kunstwerk und hatte beachtliche (über 2000) Aufrufe erreicht, bevor es vom Kanalbetreiber auf "privat" umgeschaltet wurde. Das muss an einem anderen Tag noch gesondert thematisiert und reflektiert werden. Kommt Zeit, kommt Rat.

Hier aber möchte ich lieber in unbearbeiteter Fassung die Autorenselbstgespräche mit Diego Li vom Anfang des Monats Mai präsentieren (die Bearbeitung kommt auch bald), weil die Gedanken um das Offene Kunstwerk weitergehen. Offene Kunstwerke erfordern natürlich auch Offene Präsentationsräume und Präsentationsformen. Aber auch da ist die Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit zu beachten. Ein Organismus ist ein offenes System, eine offene Wunde eine Systemstörung ;)

16. April 2023, Sonntag
Absichtlich ins Wespennest gestochen

Mit meiner heutigen ask.fm-Antwort habe ich absichtlich ins Wespennest gestochen. Mir ist seit längerem aufgefallen, dass Migrantinnen und Migranten mit ihren kulturellen Diskursen deutlicher in Erscheinung treten und keineswegs nur in kulturellen Zusammenhängen sich zu Wort melden, sondern auch in Fragen der Gesellschaftsmoral, Lebensführung, Sexualität, Partnerschaft etc. Das ist sehr zu begrüßen, aber mit meinem eigenen Standpunkt in Verbindung gebracht, nicht ohne Ambivalenz. Die Vielfalt wächst, sie wächst aber auch in diversen Versionen des Konservativismus, der Religiosität, des Chauvinismus, Nationalismus und Rassismus. Schwarzköpfigkeit und dunkle Haut- oder Augenfarbe sind nie Garanten von Toleranz und Demokratie gewesen. Auch Menschen mit nicht euripidem Aussehen können politisch, kulturpolitisch, sozial falsch liegen, antidemokratische Tendenzen aufweisen oder ganz offen für chauvinistische, antiemanzipatorische Ansichten und Inhalte sich stark machen. Hier Diskussionen zu tabuisieren und zu meiden, einen positiv gemeinten Rassismus zu üben und Sexismus zu tolerieren, ist einer freiheitlichen und lebensfreundlichen Kultur abträglich. Überhaupt ist jeglicher Rassismus einer freiheitlichen und lebensfreundlichen Kultur abträglich und ich hoffe doch sehr, dass an dieser Stelle meine Wortwahl zu erkennen gibt, dass ich den Begriff des "Humanismus" meide. Auch der Humanismus hat eurozentristische Giftblüten getrieben.

Zuträglich finde ich, wenn ganz klar verdeutlicht wird, dass Ansichten, Meinungen, ja selbst Kulturzugehörigkeiten nichts, aber auch gar nichts mit den körperlichen Merkmalen des Aussehens eines Menschen zu tun haben. Ein dunkelhäutiger Mensch hat nicht automatisch und notwendig mit der Kultur einer afrikanischen Region zu tun. Das klingt selbstverständlich, aber die täglichen Diskurse missachten diese Erkenntnis schier ausnahmslos. Unsere Diskurse sind nicht nur diesbezüglich antiquiert. Wir sind unserer technologischen Wirklichkeit schon längst inadäquat. Das betrifft nicht nur unser Denken und unsere Moral, das betrifft auch längst schon unsere politischen wie kulturellen Institutionen. Und unser medial gewaschenes Hirn vermag schier gar kein Geschichtsbewusstsein mehr aufzubringen, vor allem nicht, was die Debatten und Diskurse der vergangenen Jahrzehnte angeht. Z.B. ist Michail Gorbatschows Forderung nach "neuem Denken", die eine Zeitlang in aller Munde war, vollkommen von der Tagesordnung und vom gegenwärtigen Bewusstsein verschwunden. Das gegenwärtige ist das öffentliche, das medial vermittelte oder medien gemachte Bewusstsein. Und so frage ich mich selbst allen Ernstes, ob ich mich an Michail Gorbatschows "Neues Denken" erinnern könnte, wenn es vor meiner Geburt läge. Mit anderen Worten: man kann doch den Millenials nicht verübeln, dass sie nicht wissen, was sich Mitte bis Ende der 80er Jahre des 20. Jhs. abspielte und diskutiert wurde. War da am himmlischen Horizont irgendwo kurz die Sternschnuppe einer global vereinten Menschheit zu erblicken, und was durfte man sich nicht alles wünschen angesichts der Berichte des Club of Rome und GLOBAL 2000, des Berichts an den us-amerikanischen Präsidenten, wenn man diese Sternschnuppe gesehen hatte? Was vor kurzem noch als unmöglich galt: die Auflösung der Blöcke und die Vereinigung der Menschheit im Interesse eines stark gefährdeten Planeten, schienen möglich zu werden! Rund vierzig Jahre später können Nationalismus, Militarismus und Rassismus so diskutiert werden wie am Vorabend des ersten Weltkrieges.

Eine radikale Trennung von Rasse, Ethnie und Kultur und die Überwindung nationalen Denkens und der nationalen Politilk erscheinen mir um der Freiheit Willen notwendiger als denn je. Meine Ausführungen dazu beginnen aber auch erst jetzt mit dem Gedankenstrich 76. Warum so spät, werden Sie sich vielleicht fragen. Das habe ich mich natürlich auch gefragt, obwohl ich die Antwort in jeder Zelle meines Körpers längst schon verspürte und kannte. Mit dem Gedankenstrich 77 versuche ich auch darauf einzugehen und die längst vorhandene Intuition zu verbalisieren.

Bis 365-Gedankenstriche kann dem Thema ja noch so manch ein Gedankenstrich gewidmet werden. Ich muss nicht alles in einer Nchricht aus dem Büro unterbringen. Ein Wort aber sollte auf jeden Fall jetzt schon fallen: Fassungslosigkeit.

09. April 2023, Ostersonntag

Für den Monat April habe ich die Tarot-Karte "Der Wagen" gezogen - die magische Sieben der Tarotkarten. Meine persönliche Identiäts- und Charakteristik-Karte ist für mich "Der Narr", die Null der Tarorkarten, worüber ich mir auch ein paar Gedanken in einer Email an eine sehr gute alte Freundin aus Studienzeiten gemacht habe. Sie schrieb mir, dass sie, angeregt durch mich, «es auch mal ausprobieren musste». Sie zog den "Magier" - die Eins der Tarotkarten. Es drängte sich mir natürlich auf, über die Null und die Eins im dualen System interpretierende Ausführungen zu verfassen. Doch darum soll es nun nicht gehen; diese Ausführungen könnten einen Gedankenstrich ergeben, der seine Vorstufe in der persönlichen Email gefunden hat. Es geht, kurz gesagt, um das Spannungverhältnis zwischen Freunden, die ihren Platz im Establishment gefunden haben und dem frei schwebenden Dichter und Narren, der das klassische Muster in der Freundschaft zwischen Hegel, Schelling und Hölderlin sieht, wobei meine Freunde deutlich bessere Freunde sind, als Schelling und Hegel je Hölderlin gegenüber gewesen sind.

Das bringt mich doch tatsächlich auf die Idee, im SOKRATES-Roman einige Folgen über die Freundschaft dieser beiden Etablierten gegenüber Hölderlin zu schreiben. Aber momentan bin ich bei der Folge 561 und mir gehen unabhängig davon Dialogfragmente zwischen dem KFZ-Mann Ali und Ördek durch den Kopf. Die Gespensternacht ist um; am Tage verlieren die Schatten ihre Macht und gehen in Licht auf. Da fährt Ördek mit dem Mercedes T Kombi auf den Hof. Der Zusammenstoß mit Gaston de Pawlowski, dem Reisenden in die Vierte Dimension, hat am Auto keine Spuren hinterlassen. Ich schweife ab!

Gestern entdeckte ich etwas anderes: zu der allgemeinen Deutung des "Wagens VII" im Tarot: «Der Wagen verheißt einen freudigen Aufbruch, einen hoffnungsfrohen Neuanfang. Haben Sie den Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen und zu neuen Ufern aufzubrechen! In der Liebe kann das die Überwindung alter Spannungen bedeuten» fand ich «Die größte Errungenschaft unseres Lebens besteht in der Befreiung von der Herrschaft unserer Ängste und in der Hingabe an unsere wahre Kraft, Schönheit und Größe». Der Wagen wird von einer schwarzen und einer weißen Sphinx gezogen und trotz des großartig herausgeputzten Aufbruchs scheint er still zu stehen.

Die "Errungenschaft" ist zunächst eine Herausforderung. Wie sagte es die Vollmond-Affirmation zum Steinbock so schön: «Gehe an deine Grenzen, um deine wahren Fähigkeiten zu erfahren...»? Nun denn, so breche ich auf zur Reise an die eigenen Grenzen! Ich überarbeite und sortiere das öffentliche Schreiben meiner Texte neu, schaue mir auch die liegengebliebenen Bereiche meiner Homepage an, lektoriere und verlinke. Vor fünf Jahren war ich an eine Stelle gelangt, in der HTML-Arbeit nicht im Geringsten mehr ging, ohne mich in die Depression zu stürzen. Nun bin ich an einem anderen Punkt in meinem Leben.

Los geht's an die Grenzen!
 
 
Uri Bülbül
Literat und freier Philosoph
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