Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 
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Es war einmal ein Märchen, mal kein Märchen...

...ich bin zur ständigen Vertretung der Romantik in der Realität geworden, jemand auf verlorenem Posten... ich - nur Narr, nur Dichter!

Auf der Suche nach einem Mittel der (Selbst)Wahrnehmung...

Ich manchmal mit Sehnsucht nach der Autorität des Magiers ausgestattet mit den Insignien seiner spirituellen Macht... Was ich hier zu sagen habe, ist nichts über das Tarot an sich.

Ich bin kein Magier, kein Mystiker, keine Autorität der Spiritualität, weder erleuchtet noch sonstwie von prophetischer Weisheit gestreift. Ich bleibe bei meinem (Selbst)Bild des Narren.

Weder erleuchtet noch sonstwie von prophetischer Weisheit gestreift ICH! NUR NARR, NUR DICHTER! "Mach dich doch nicht kleiner als du bist!", habe ich einige Male zu hören bekommen. Es sind jene, die sich gut positionieren und behaupten können. Es geht ihnen um die Sicherheit ihrer Hintern, von guter Situierung aus können sie mit Rat um sich schlagen - sozial, demokratisch, ökologisch grün, oder freiheitlich liberal, einige sogar lila links oder schwarz christlich, womit sich am längsten leugnen lässt, dass etwas faul ist im Gefüge der menschengemachten Welt. Gerne sprechen alle von "Tatsachen", ohne dass jemand ins Visier nimmt, dass in diesem positivistischen Fetisch die "Tat" steckt. Die Tatsachen sind nicht einfach gegeben wie Gebirge, Erdöl oder die Weltmeere, der Himmel, der Mond oder die Sonne - Tatsachen sind von Menschen geschaffene Zustände, die sich ihm massiv entgegenstellen als Objekte. Und ich der Stachel im Hintern der Bürgerlichen, den man sozial erniedrigt, intellektuell verharmlost, künstlerisch belächelt, wenn überhaupt wahrgenommen, herausziehen kann und mit Daumen und Zeigefinger wegschnippen. Nur so lässt sich gut ignorieren, dass das Kartenhäuschen der Lebenslügen fragil und instabil ist. Sich in Institutionen und in strukturelle Macht eingefügt, Beamten- und Angestelltenlaufbahnen durchschritten, hier und da sich kleinere Hämatome geholt als Alibis des Aneckens, kann Hölderling ignoriert, verniedlicht und verharmlost werden, weil Hölderlin als wahre Größe gestorben und museal geworden ist nebst all den Klassikern! Gerade jetzt gilt es stand zu halten. Natürlich schafft nicht jeder Tatsachen, auch wenn Tatsachen geschaffen sind. Ein Atom in der Emergenz der vitalen Moleküle werden, sich nicht einfügen in die steinernen ehernen Strukturen und Institutionen, nicht ins Regelwerk des mächtigen Diskurses, der auch seine Oppositionen in sich schließt, sondern ein Haarriss sein, durch den sich Dynamik ins Ganze wirbelt, ist die Hoffnung der Null als Tarot-Karte: der Narr mit dem Hund an seiner Seite im Gebirge mit leichtem Gepäck im Säckchen am Stock.

Selbstwahrnehmung bedeutet nicht, dass ich mich selbst wahrnehme, sondern dass es doch ein Mittel geben muss, dass bei allem Geklingel, Geklapper, Geplapper, Facebook, Instagram, bei aller Ökologie, Nachhaltigkeit und institutionalisiertem Wohlwollen der narzisstischen Egomanen das Selbst wahrgenommen wird in seiner Transformation zum Elan Vital.

Ich lasse mich nicht als Stachel aus dem Hintern ziehen, denn weder bin ich ein Stachel noch allein und isoliert, verloren im Fettgewebe der Ordnung der Tatsachen. Die Individuen des Elan Vital ordnen und formieren sich selbst, ob zu ihrem Lebendigen die Zeit noch reicht, mag ungewiss sein, sicher ist aber auch nicht, dass die versteinerten Verhältnisse nicht zum Tanzen zu bringen sind.

Nun komme ich in Ruhe zu den beiden Tarotkarten: "Die Eins: Der Magier" und "Die Null: Der Narr". Ich will gar nicht diskutieren, ob man sie zufällig zieht oder vom Kosmos schicksalhaft intendiert. Das sind metaphysische Diskussionen, die man endlos führen kann und es letztlich keine vernünftige, rationale Entscheidungsgrundlage gibt und die Diskussion im Glaubenskampf ersticken. Ich suche auch keine "objektive Realität der Transzendenz" oder versuche andere von deren Beschaffenheit zu überzeugen. Diese Dinge liegen wie Jugendsünden hinter mir. Woher sollte ich auch das Wissen darum nehmen?
«Die Geschichte der bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.
Mit einem solchen Satz kann nur das anfangen, was Marx/Engels selbst «Das Elend der Philosophie» genannt haben. Pure Metaphysik und der Habitus des Allwissens. Wenn man eine einzige Geschichte für die ganze Menschheit schreiben will, dann steht am Ende der eurozentristischen Tat die Sache: die Geschichte der bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Und nein, es geht nicht darum, die Existenz von Klassen zu leugnen und lieber von "Schichten" zu sprechen und euphemistisch die schönste Schönfärberei zu betreiben und "vertikale Dynamik und Durchlässigkeit" anzunehmen, Konsumismus und Konsumgüter als Statussymbole der Macht gleißnerisch anzunehmen. Das alles kann auch stehen bleiben ohne die Metaphysik des Allwissens. Es gibt viele Geschichten von Lebensformen und Gesellschaften, Kulturen und Mentalitäten, die Vielfalt darf, wenn es um das Leben und das Lebendige geht, nicht in der Einfalt der industriellen, technologischen und kapitalistischen Monokultur begraben werden. Es geschah und geschieht und das Artensterben schreitet voran, eine lebendige Lebensphilosophie sollte sich dem nicht anschließen und durch diese Strömung mitreißen lassen.

Während die Null, der Narr, von konkreten Gegebenheiten ausgeht, fast mit deren Genuss und Wahrnehmung glücklich und zufrieden ist, wenig Institutionelles und Konventionelles an sich trägt, auf Wanderschaft ist, also in Bewegung, das Dynamische darstellt und lebt und der Hund neben ihm warnend oder fröhlich ihn begleitend mit ihm springt, steht der Magier wie angewurzelt an seinem Tisch, hat ein Mobiliar von Rosen umrankt, statisch und geschmückt, worauf sich der Kelch, die Münze, das Schwert und der Stab befinden, die Symbole des Tarots höchst selbst, und über seinem Kopf wie in einer Gedankenblase die Idee des Unendlichen schwebt und ein bisschen wie ein Heiligenschein wirkt, aber auch ein projiziertes ideelles Gut ohne Transzendenz sein kann. Der Stab des Magiers wie ein Zepter der Deutungshoheit in den Himmel gehoben, soweit der sterbliche Arm reicht. Die Null, der Wanderer, die Eins, der in Symbolik Stehende, begreifende Begriffene.

Die Tarotkarte Null symbolisiert das Gegenteil des Magiers ausgezeichnet. Im Hintergrund blaue Berge, Sonnenschein am Himmel, Felsenlandschaft und der Narr mit einem Wanderstock und leichtem Gepäck, nur einem Reisesäckchen und einer Blume in der Hand am Rande des Abgrunds als Hansguckindieluft unterwegs. Kein Haus, keine Burg, keine Straße, keine Stadt im Bild, Zivilisation und Kultur minimiert - nur ein weißer Hund, der den Narren begleitet, und man weiß nicht, ob er den Mann warnen will oder nur fröhlich mit ihm springend mitläuft und seinen Frohsinn teilt und bestärkt. Der Narr ist ganz in den Gefühlen und Gedanken um seine Hundefreunde, träumt und realisiert hier und da seine Kulturprojekte und schwebt am Abgrund in seiner Wanderschaft. Das ist Uri - der Narr, die Null! Ein Gegenpol: das wird durch die Eins: Der Magier - Freunde im Establishment. Menschen mit Herz im Apparat, in den Strukturen der Gesellschaft, verankert, geborgen, aber nicht ohne das Bewusstsein, dass dies nicht alles sein kann! Es gibt eine Verbindung zum Narren, Magier und Narr brauchen einander wie im Dualsystem des digitalen Kosmos die Null und die Eins in einem kontextuellen System eingebunden, eine ganze virtuelle Welt generieren können, wozu sie aber eben das System beginnend mit 2 hoch 0, 2 hoch 1 usw. als ein Drittes benötigen. Der Magier ist kein König, er ist nicht allein durch Institution, Amt und Hierarchie definiert. Im Grunde seiner institutionellen Genese liegt auch etwas Magisches im Königtum. Die besondere Exponiertheit einer Person, ob man es "Charisma", "Heil" oder sonstwie kosmische Auserkorenheit nennen will, macht den König zum König, den Dalai Lama zum Dalai Lama und die Bienenkönigin zur Bienenkönigin, die durch besondere Ernährung zu dem wird, was sie ist, weil sie von den Arbeiterinnen getragen wird. In der politischen Arbeitsteilung hat sich der "Heilsimpuls" ausdifferenziert zwischen Klerus und Adel. Die Privilegierten einer Gesellschaft organisieren sich das besondere Aushängeschild gegenüber himmlischen und irdischen Mächten. Ohne den "göttlichen Segen" des Klerus, neben der politischen Unterstützung des Adels, kann der König als solcher nicht existieren. (Vgl. "Totem und Taubu" von Sigmund Freud und unter diesem Aspekt auch die Sophokles-Tragödie "König Ödipus"!) Der Magier weist aus allem hinaus in den Kosmos ohne politische und tiefenpsychologische Kontextualisierungen und wird zugleich im Unterschied oder sogar im Gegensatz zum Narren von der Institutionalisierung elementaren Wissens gestützt, was den Magier zu einem Bindeglied macht zwischen dem Narren und der Gesellschaft. Geschützt wird der Magier von der lebendigen Rankpflanze und nicht einem Gebäudedach eines Hauses, einer Burg oder Schlosses. Der Magier hat nicht die Insignien der Macht, wie etwa Zepter und Krone oder Thron. Er steht mit anderen Mitteln in Verbindung mit dem Universum wie der Narr aber dass er überhaupt in Verbindung mit dem Geistigen steht, macht auch den Unterschied zum König oder zur Politokratie aus. Seine Utensilien sind Symbole aus dem Tarot, um das Leben zu beschreiben, parallel zu den vier Elementen: Münze (Feuer), Schwert (Luft), Stäbe (Erde), Kelche (Wasser). Der eine am Tisch mit elementaren Utensilien (Symbole des Tarot), der andere auf Wanderschaft mit Hund. Und genau darin sehe ich die kreative Kraft der Kombination von Eins und Null.

Ich weiß aber auch nur zu genau, dass man sich in den Widersprüchen zwischen Institution und Lustwandeln in freien Bergen verlieren kann und zu keiner produktiven Kombination findet. Der eine in den kafkaesken Labyrinteh der Bürokratie, Politokratie und Technokratie. Der andere unter freiem Himmel schutzlos im Gebirge. Damit die Eins und die Null kombinierbar werden und dadurch ganze Welten auszudrücken und zu erschaffen beginnen, muss es ein System geben, das dies ermöglicht, wie es eben das Dualsystem die Bedeutung dieser beiden Zeichen je nach Platz definiert. Narr und Magier brauchen einander heißt, erst gemeinsam bezogen auf das Dritte können sie kreativ werden. Das dialektische Dritte, womöglich symbolisiert durch den Stab des Magiers wie auch durch die Blume des Narren. Die Unendlichkeit nicht nur ein Zeichen, sondern ein Symbol der Möglichkeiten, Ideen und kein rationalistischer Begriff, der alles zur Ideologie versteinern lässt und ganz nach Manier der Chaplinschen Modern Times als Aparatschik mit Schraubenschlüssel ins Räderwerk der Maschinerie gerät. Wird der Mensch auf der technokratischen Seite lebendig bleiben können oder wird er gänzlich zum Roboter assimiliert? Der Narr bedarf seines magischen Gegenpols, er bedarf einer administrativen Kraft, die nicht zu Bürokratie erstarrt. Ohne eine dialektische Bezugnahme im Dritten sind beide zum Scheitern verurteilt. Ebenso muss diese Symbolik zum Konkreten gewendet werden. Roger Willemsen liefert diese Konkretion auf eine wunderbare Weise.

Finden wir eine Möglichkeit, die Kultur des Lebens demokratisch neu zu denken?





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Uri Bülbül
freier Literat und Philosoph
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