Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 
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Auf der Suche nach einem Mittel der Wahrnehmung...

 Gedankenstrich 25

Gedankenstrich 25 von 365-Gedankenstrichen, die ich mir vorgenommen habe - Warum gehört Erkenntnistheorie zu kulturphilosophischen Betrachtungen? Die Antwort hierauf wird noch ein bisschen auf sich warten lassen.

Zeit, "meine" Erkenntnistheorie aus -18 zu verfeinern. Man darf das Possessivpronomen hier nicht allzu eng sehen und ernst nehmen, natürlich ist hier keine originär aus mir geschöpfte, individuelle und ganz neuartige Erkenntnistheorie gemeint, auf die ich den Anspruch auf das Urheberrecht erhebe. Dieses Pathos würde an allem Wichtigen vorbei ins Nebensächliche führen. Die Frage: «wer hat das gesagt?» legitimiert keine Aussage und verschafft ihr keine Wahrheit und Gültigkeit. Sollte man meinen und vorerst aus heuristischen Gründen dabei bleiben. Denn es geht zunächst hier um die inhaltliche Betrachtung von Aussagen, was ich auch den intensionalen Aspekt von Aussagen nenne. Die Intension angenommen als etwas, was soweit und so gut es geht, von Wortwahl und Ausdrucksweise abstrahiert an einer Aussage existiert. Ob ich nun sage: «die Erde ist rund», oder «die Erde ist eine Kugel», oder «die Erde ist ein Globus» ist bei unterschiedlicher Wortwahl intensional gleich. Und so mache ich den Gedankenschritt und sage: «Wahrheit und Gültigkeit entstehen nur aus der Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit». Wir können auch sagen: «Eine Aussage ist wahr, wenn sie sich mit der Wirklichkeit deckt.» Diese Aussage über Wahrheit und Gültigkeit ist also Teil der Erkenntnistheorie, die zwangsläufig zwei Fragen mit sich bringt: 1. Warum wird zwischen «Wahrheit» und «Gültigkeit» unterschieden? 2. Wie wird die Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit festgestellt? Die zweite Frage ist besonders wichtig, wenn wir uns noch einmal vor Augen halten, dass wir in -18 Wirklichkeit als ein dialektisches Zusammenwirken von Subjekt und Objekt definiert haben. Das Zusammenwirken nannte ich eine «dialektische Einheit». Wenn wir aber die Wirklichkeit als eine Verschränkung von Subjekt und Objekt vorfinden, wie können wir dann Wahrheit konstatieren? Wie kommen wir zu einer zuverlässigen Überprüfung einer Aussage über die Wirklichkeit und wessen Wirklichkeit ist sie? Wie und wo wird Wahrheit subjektunabhängig bzw. vom Subjektiven bereinigt? Und wie wirklich ist die Übereinstimmung einer Aussage über die Wirklichkeit mit dieser Wirklichkeit? Wir werden nicht umhin kommen, über «Apodiktizität» und «Evidenz» zu sprechen. Aber auch über «Objektivität». Ich plädiere für einen bescheidenen Umgang mit «Objektivität», sie sollte nicht zur autoritären normativen Kraft des Faktischen hochstilisiert werden. Eine «reine», vollkommen subjektbereinigte Objektivität verliert sich selbst. Sie ist nur ein Diktat sich selbst versteckender gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher Kräfte. Denn sie behaupten die Möglichkeit einer solchen Objektivität, um ihre eigene Subjektivität unsichtbar zu machen. Wir können also sagen: verschwindet die Subjektivität, verschwindet auch die Objektivität. Jede Sachlichkeit bedarf der Offenlegung der Perspektiven. Jede Aussage selbst ist relativ, d.h. perspektiv- und bezugssystemabhängig. Bedeutet das nun einen absoluten Subjektivismus?

 Gedankenstrich 26

Der Subjektivismus (und die Endung -ismus steht fast immer für eine Ideologie bzw. ideologische Anhängerschaft) ist eine Ideologie der kapitalistischen Gesellschaft und Kultur! Relativität von Erkenntnis und Wahrheit mit Subjektivismus gleichzusetzen, wäre ein fataler Fehler: -26

Der Subjektivismus relativiert die Außenwelt soweit, dass von ihr nichts Zuverlässiges mehr übrigbleibt. Das geht bis zum Solipsismus. Man kann darin keine wahre Aussage über die Außenwelt treffen, außer dass alles subjektiv ist. Und genau darin liegt das Paradox des Subjektivismus. Der Subjektivismus zieht sich auf Positionen der Unverbindlichkeit zurück. Nichts ist sicher, außer dass nichts sicher ist. Die Möglichkeit der Täuschung wird per Fehlschluss zur Unmöglichkeit der richtigen Erkenntnis geführt und verdreht. Doch selbst für eine radikal Konstruktivistische Haltung kann logisch wie empirisch gezeigt werden, dass sie nicht subjektivistische Beliebigkeit rechtfertigt! Denn der Schluss von «man kann sich täuschen» auf «also gibt es keine wirkliche Erkenntnis» ist falsch. Ich versuche die Dinge in einem Dialog zu sortieren und zu demonstrieren: Subjektivismus: Alles ist subjektiv, alles hat seinen Ursprung und seine Existenz im Subjekt. Erkenntnistheorie: Die Aussage «Alles ist subjektiv» müsste demnach ja auch subjektiv sein, demnach könnte alles für dich subjektiv sein, aber das ist keine Aussage über "alles". Auch der Subjektivismus macht eine objektive Aussage. Das ist paradox. Subjektivismus: Wenn man aber die objektive Wirklichkeit nicht erkennen kann, bleibt jede Aussage über sie subjektiv. Also ist alles subjektiv. Erkenntnistheorie: Es gibt Paradoxien in der subjektivistischen Argumentation. Es ist ein Unterschied, ob nur die Aussagen subjektiv sind, oder ob alles, also das Universum subjektiv ist. Wir müssen erstens unsere Ausdrucksweise präzisieren, zweitens klären, ob wir über die Sprache sprechen oder über die Inhalte, die wir sprachlich ausdrücken. Dann erkennt man auch, worauf ich hinaus will. Wir drücken alles in Sprache aus, dennoch ist nicht alles nur Sprache. Es gibt eine außersprachliche Wirklichkeit. Parallel dazu gibt es auch eine außersubjektive Wirklichkeit. Wir können über diese Dinge an sich nichts aussagen. Denn jede Aussage ist sprachlich und nicht das außersprachliche Ding an sich. Und auch hier gilt, dennoch ist nicht alles nur Sprache. Subjektivismus: Dann kann man sagen: «Jede Aussage über die Dinge ist subjektiv». Erkenntnistheorie: Wir müssen uns die Bedeutung des Wortes "subjektiv" genauer anschauen; zum Einen bedeutet es "vom subjekt getätigt"; zum andern bedeutet es "auf das Subjekt bezogen". Bei letzterem sehen wir, dass sich das Subjekt selbst zum Objekt machen kann. Das heißt, es gibt Aussagen, ÜBER das Subjekt. Eine davon ist: «Das Subjekt vermag das Ding an sich nicht zu erkennen». Das zeigt, dass objektive Aussagen prinzipiell möglich sind. Wir können über andere Dinge sprechen. Aber aus der ersteren Bedeutung geht ja hervor, dass wir über alles nur als Subjekte sprechen können. Das ist wahr. Falsch hingegen ist der Schluss daraus, dass alles nur im Subjekt existiert. Vorerst können wir aber sagen, dass sich nur das Subjekt selbst als einzig und allein untrennbar von sich gegeben ist.

 Gedankenstrich 27

Ich muss einen weiteren Gedankenstrich ziehen, es wird der 27. sein, wissend, dass ich heute an einer wichtigen Selbsterkenntnis vorbeigeschrammt bin. Wieder mit Kratzern davon gekommen - wovon bloß? Gedankenstrich 27 -

«Das Subjekt an sich sich selbst!»; «Das Subjekt an sich sich selbst untrennbar von sich selbst gegeben.» Das klingt nach Solipsismus. Genau das aber ist wieder dasselbe Fehlschlussmuster: «...also kann es nichts anderes geben». Die Analogie noch einmal: wenn alles nur sprachlich ausgedrückt werden kann, ist also alles nur Sprache? Nein, mitnichten! Denn selbst die Sprache selbst impliziert ja etwas außer sich, worüber sie spricht.
Z.B. «Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass...» Damit ist die Möglichkeit des Irrtums in das Urteil einbezogen, zugleich aber auch ausgesagt, dass ein Urteil außer-subjektiv möglich ist und gefällt wird. Die Möglichkeit des Irrtums lässt nicht den Schluss zu, dass alles Urteilen notwendig ein Irrtum ist.
Ein anderes Beispiel: «Ich habe Zahnschmerzen». Das Subjekt impliziert, dass etwas außerhalb der Sprache vorhanden ist, was sich dann aber nur im Subjekt selbst befindet und abspielt. Doch möchte diese Mitteilung aus dem Subjekt heraus einen anderen Menschen erreichen, der akzeptiert, dass nicht nur reine Sprache mitgeteilt wird, sondern etwas, was nicht Sprache ist: nämlich die Zahnschmerzen. Das Subjekt will mit seiner Mitteilung sogar seine Empfindung objektivieren. Dabei spielt sich diese Empfindung rein im Subjekt ab, aber nicht subjektiv! Man sollte also zwischen "Subjekt" und "subjektiv" unterscheiden und zwar nicht nur als Wortart: «"subjektiv" ist das von "Subjekt" abgeleitete Adjektiv»; nein, das Subjektive (die Nominalisierung des Adjektivs zur Verdeutlichung der Differenz) ist etwas anderes als das Subjekt. Nicht alles, was das Subjekt aussagt, ist subjektiv. Die Aussagen implizieren Objektives, Subjekt und Objekt bilden in Wechselwirkung die Wirklichkeit. Als Einwand des Subjektivismus kann nun kommen: «Subjekt und Objekt bilden in Wechselwirkung die Wirklichkeit sowie die Unwirklichkeit». Ja, Fiktion, Lügen, Täuschungen, Irrtümer, Illusionen wären die Unwirklichkeit, damit sind sie ein Teil der Wirklichkeit und existieren. Aber ihre Existenz widerlegt nicht die Möglichkeit der Wirklichkeit, so dass wir sogar sagen können, dass Unwirklichkeit Wirklichkeit impliziert und selbst beansprucht. So kommen wir zu der Aussage: «Das Unwirkliche existiert wirklich». Auch wenn die Sprache etwas ungenau und mehrdeutig ist, können wir die Begriffe spezifizieren, von anderen mit ähnlichen Bedeutungen abgrenzen und auf das Gemeinte fokussieren. Eine Tätigkeit, die im Bemühen um Erkenntnis und Argumentation vollzogen werden muss und nicht ausbleiben kann. Das Unwirkliche mit dem Subjekt bzw. Subjektiven zu identifizieren, hat ganz im Sinne der Tatsachengläubigkeit der Positivisten Schule gemacht. Und der Subjektivismus hat dem sehr gut Vorschub geleistet. Aus «Jeder hat seine Meinung» wurde «Jeder hat seine Wahrheit»; «Wahrheit ist Ansichtssache» und ähnlicher Unfug! Diese nur scheinbar tolerante Haltung verunmöglicht Kommunikation und ist Ausdruck von Gleichgültigkeit gegenüber der Wirklichkeit.

 Gedankenstrich 28



Die Paradoxien des Ich! Unter diese Überschrift könnte ich doch den 28. Gedankenstrich stellen, obwohl er doch schon anders gezogen war. Meine These, die ich etwas ausführen wollte, sollte lauten:

Die Abhängigkeit von Subjekt und Objekt heißt weder, dass die Objekte nicht existieren oder "an sich" nicht existieren noch dass Perspektivabhängigkeit der Wirklichkeit sie zur Ansichtssache macht im Sinne von «jeder hat seine eigene Meinung darüber!» Das wäre in etwa so, dass wir der Person, die uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzt, die Existenz absprechen, weil wir ihr nicht zugleich ins Gesicht und auf den Hinterkopf schauen können.

Wir kämen damit auf das logische Muster des Kindes, das mit dem Bade ausgeschüttet wird. Wenn das Subjekt nicht vom Objekt unabhängig existiert, dann kann es unmöglich frei sein und ist der Sklave der objektiven Welt oder wie gewöhnlich begauptet: wenn das Objekt ohne das Subjekt nicht existiert, existiert die Objektwelt nicht und alles ist subjektiv und das Subjekt ganz allein auf der Welt. Alles nur Sprachspiele! Subjekt und Objekt sind ein Begriffspaar. Natürlich kann das eine nicht ohne das andere! Wie soll denn ein Gegenstand ein solcher sein, wenn er nichts hat, dem er gegenüber steht? Es gibt womöglich Sterne, von denen wir nichts wissen, weil ihr Licht uns nicht erreicht hat. Und wenn ihr Licht uns erreicht, kann es sein, dass sie schon nicht mehr existieren, dennoch sind sie erst Objekte für uns, wenn ihr Licht uns erreicht hat.In den Erkenntnisdimensionen müsste ich einen Standpunkt im Tesserakt finden, von dem aus ich mich im Würfel verstecken spielen sehen kann. Und zwar so, dass ich sehe, wie ich mich vor mir selbst verstecke. Dann erst könnte ich deine Frage beantworten, wenn ich zugleich einen Maßstab hätte, woran ich Erfolg messe. Wenn es in mir etwas gibt, was mich hinters Licht führt, dann gehört es sicher zu mir. Und was mich dabei erwischt, bin auch ich. Deshalb ist dein "oder" in der Frage ein einschließendes Oder. Ich bin sowohl hinter dem Licht als auch erwischt und mit dem Erwischtsein führe ich mich wieder hinters Licht. Und da ich diesen Text nie geschrieben hätte, wenn es dich nicht gäbe, nehme ich das als Beweis dafür, dass der Solipsismus widerlegt ist, dieser Beweis aber ist subjektiv. Dritte, die den Text lesen, können es nicht beurteilen, da ich ja auch ein Fakeaccount @Schlagtot haben könnte. Aber dann müsste es ja diese dritten geben, was auch den Solipsismus widerlegen würde, es sei denn sie hätten sich selbst hinters Licht geführt und hätten auch Klugdiarrhoe als Fakeaccount. Ich jedenfalls bilde mir ein, einen SOKRATES-Roman zu schreiben und Gedankenstriche zu ziehen, mich erreichen Lichtsignale von Geistesblitzen vielleicht längst verloschener Geister. Meintest du vielleicht dieses Licht, hinter das ich mich erfolgreich erwischt führen könnte?

Alles, was man über Phänomenologie, Bestimmung und das Dilemma der intelligenten Bombe wissen muss Uri @Klugdiarrhoe im Gespräch mit einer beliebigen Iteration seiner selbst (ggf. felltragend):




«Dark Star» - ich bin nicht allein, wer ist der Captn, tot in der Gefriertruhe, der noch Hirnsignale senden kann... «Lehre sie Phänomenologie» einfach genial! Und was stellt sich heraus? Ich bin nicht allein, schwebe nicht über den Wassern, sondern kommuniziere mit GröStinkaZ auf ask! Wahnsinn!

 Gedankenstrich 29

Die Bombe ist sehr konsequent in der Zitation der Genesis. Im Anfang war das Wort und Gott schwebte über den Wassern... das solipsistische Ego MUSS sich völlig folgerichtig und apodiktisch als Gott fühlen! Oder als Gott denken? Gedankenstrich 29:

Mal abgesehen davon, dass der Zweck der Bombe nicht die Explosion ist, sondern die Zerstörung ihres Umfeldes durch die Explosion, die Bombe also schon ihrem Wesen nach nicht solipsistisch sein kann; muss ein solipsistisches Wesen zwingend notwendig Gott sein; denn alle anderen Wesen haben einen Ursprung, der nicht in ihnen selbst liegt - mit anderen Worten: Jedes Ich hat einen Werdegang, der mit seiner Geburt beginnt, also hat jedes Ich Eltern. So kann kein Ich solipsistisch sein; Es ist aus etwas anderem hervorgegangen - mit einer einzigen Ausnahme: es ist die Ursache seiner selbst, eine causa sui: Gott. Wenn also ein Ich wahrhaft solipsistisch ist, dann ist es Gott oder es ist nicht solipsistisch. Wenn also eine Bombe als Gott explodiert, dann ist sie der Urknall, der das Werden, die Genesis in Gang setzt. Im Anfang explodierte die Bombe ist der erste Satz der auf Dark Star gefundenen Ur-Bibel. Aus dieser Mission konnten Astrophysiker die Urknalltheorie ableiten. Eine sehr schöne Knallkoppkosmologie :))) Eine solipsistische Bombe kann keine Befehle empfangen, da müsste es ja das Befehlende außer und sogar hierarchisch über ihr geben, womit der Solipsismus hinfällig wäre. Es gibt nichts außerhalb von Gott, was Gott Befehle erteilen könnte. Gott ist Ursache seiner selbst und allgegenwärtig, weil es außer ihm keine Gegenwart gibt. So kommen wir zur Phänomenologie des Geistes oder zum absoluten Ich. Der Geist kann nur sich selbst erscheinen, wem denn sonst? Wie aber soll das gehen, außer, dass er sich von sich abspaltet und begrenzt? Ist also mit der Erschaffung der Erde Gottes Allgegenwart und Allmacht beschränkt? Denken wir es platonisch: es ist eine Fehlinterpretation, wenn man die Höhle, in der sich die Menschen befinden als einen Teil der Erde vorstellt - das Irdische insgesamt, die ganze dreidimensionale, die räumliche Welt ist eine Höhle, ein Schatten der höheren Dimension, wie die Schatten der Körper (Schatten aus der dritten Dimension zweidimensional sind in der dritten Dimension). So ist alles Körperliche in der vierten Dimension enthalten wie die Schatten der Erde zur Erde gehörig sind. So spaltet Gott nichts ab von sich, sondern sieht die körperliche Welt als Schatten von sich wie wir unseren eigenen Schatten auf dem Boden sehen können. Richten wir den Gedanken wieder auf die vierte Dimension und können sagen Gott ist und bleibt soli ipse. Allerdings ist es mit der Projektion so eine Sache: sie funktioniert nur, wenn es einen Punkt außer mir gibt, von dem aus Licht auf mich scheint und ich Schatten werfe. Vielleicht ist das der Grenzfall ähnlich der Allmacht Gottes, der ja keine Mauer bauen kann, über die er nicht springen könnte. Letztendlich aber muss ich an dieser Stelle etwas anderes bemerken: ich reflektiere nicht mehr über Kultur, sondern praktiziere die Kultur der Ideologisierung der Einsamkeit gekoppelt mit Machtphantasien. Und so entmachte ich die Philosophie mit sich selbst!

 Gedankenstrich 30

Ich wurde heute beim Spaziergang mit einer These konfrontiert: Die Naturphilosophie verhält sich zur Kulturphilosophie im Allgemeinen wie das Objekt zum Subjekt im Besonderen - Ganz ehrlich: ich habe mich selbst damit konfrontiert; es gibt keine Naturphilosophie ohne Kulturphilosophie - 30

23. März 2022

Ich habe schon so manches in die Tastatur gehackt, immer wieder Texte angefangen, die die Methoden der Geisteswissenschaften betrafen, das Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaften, die zwei Kulturen Theorie, kritische Betrachtungen der Erkenntnisgewinnung in den Naturwissenschaften, Kritik des Positivismus usw. usf. Letztendlich kristallisierte sich in den letzten beiden Jahren tatsächlich etwas heraus, was ich als MEINE Philosophie bezeichnen möchte. Dabei bezieht sich das Possessivpronomen nicht auf Originalität und genialische Urheberschaft, sondern auf eine Beziehung, eine innige, zwischen mir und dieser Philosophie. Ich denke vor, recherchiere, denke nach, recherchiere wieder und es zeichnen sich Konturen in meiner geistigen Landschaft ab. War es für mich bisher auch nicht einfach die Brücke zu schlagen zwischen dem literarischen und dem philosophischen oder essayistischen Schreiben, so wird die Einheit immer größer, immer organischer, romantisch könnte man sagen: lebendig --- "er" geht eigentlich nicht, denn lebendig und tot kann man nicht steigern. Toter oder lebloser Materie lässt sich auch kein Leben einhauchen. So etwas geht nur in religiösen Märchen, wenn sie versuchen beschränkten Geistern auf beschränkte Weise zu erklären, wie Leben entstanden sein soll. Wie aber bekomme ich das Gefühl, eines Zuwachses an Lebendigkeit, Vitalität und organischer Ganzheit in meinem Denken und Schreiben? Die Recherchen fügen Puzzleteile zueinander, das Bild wächst und damit mein Selbstverständnis, Teil von etwas zu sein, was durch die geistige Atmosphäre schwebt. Und ein Atom bin ich. Diese Atmosphäre hat etwas mit Kultur zu tun, das liegt in der Natur der Sache. Natur ist nichts, was uns fremd und äußerlich und von uns getrennt wäre - Natur sind wir. Und das wiederum ist Kultur. Kultur sind nicht die manierierten, verkünstelten Artefakte - Produkte wie Bilder, Gebäude, Malereien, architektonischen Wunderwerke, Bücher, Bibliotheken, Museen oder was auch immer: Kultur ist das Leben, das dies alles hervorgebracht hat, Kultur ist das Leben, das sich als Leben begreift und handlungsrelevantes Regelerkennen hervorbringt. Kreativität und Kreatürlichkeit, Erschaffen und Erschaffenwordensein in Einheit sind Kultur und Natur in Einheit, was wir auch "Leben" nennen können. Das Regelsystem unseres Gewordenseins ermöglicht uns Kreativität, womit wir wieder auf das Regelsystem einwirken, was W.v. Humboldt das "große Ganze" nennt und was wir auch das Universum oder Universelle nennen können. Die Worte sind nicht unwichtig, die Sachen und Sachverhalte aber sind wichtiger und können ganz unterschiedlich benannt und beschrieben werden. Letztendlich kommt es darauf an, wie wir leben und leben lassen und auch leben gelassen werden. Kreativität und Kreatürlichkeit - Produktion und Produktsein, Kultur und Natur verbinden uns allgemein mit unserem Verhältnis als Subjekte mit den Objekten im Besonderen. Etwas jubelt in mir fröhlich über diesen Gedankenstrich!

 Gedankenstrich 31

Es war einmal eine Website namens "Bada$$ of the week", auf der wöchentlich herausragende (im positiven wie im negativen Sinn) Persönlichkeiten vorgestellt wurden. Welcher Person - bekannt oder unbekannt - würdest du ein solches Feature widmen?


Mein erster Impuls war zugegeben negativ ;) Ich wollte ohne Rücksicht auf Verluste schreiben, anklagen, verurteilen, ablehnen und dafür einige Gründe nennen - vielleicht wilde und verletzende Gründe; aber dann sah ich dies: Dummheit interviewt bewundernd und vollkommen verständnislos Buddhistische Weisheit. Die ganze Atmosphäre der Kommunikation gefällt mir. Wie hartnäckig Dummheit auch Weisheit befragen und zugleich ignorieren kann. Wem soll ich nun das Feature widmen: Matthieu Ricard, dem «berühmten buddhistischen Mönch» oder der Redakteurin Barbara Bleisch, die gnadenlos unverständig ist und in dieser Position konsequent beharren möchte - vielleicht ist sie der glücklichste Mensch, nur haben die «Neuropsychologen» (man beachte diesen Terminus!), sie nicht untersucht. Dem Funkeln ihrer Augen möchte ich entnehmen, dass sie eine Untersuchung wert wäre: nicht beim Meditieren, sondern beim Interviewen. Das macht sie womöglich so glücklich, dass Buddhistische Mönche ernsthaft überlegen müssten, ob sie nicht lieber in einem Studio sitzen und Menschen interviewen sollten, statt im Himalaja im Kloster herumzulungern. Bleisch jedenfalls besteht darauf, dass Matthieu Ricard eine «glänzende Karriere als Wissenschaftler aufgegeben» habe, um armer Buddhistischer Mönch zu werden. Sie überhört auch ganz gerne, was Ricard über die Menschen sagt, die in seinem Elternhaus ein- und ausgegangen sind.



Die wichtige Aussage, dass im Gehirn nicht kleine Lokalitäten isoliert arbeiten, sondern alles mit allem zusammenhängt, wird abgenickt. Von Bleisch kommt ein «man merkt...» Blabla. Die Frage, die für mich so naheliegend ist: Kann man sich eigentlich die Welt, den Globus, auch als ein neuronales Netzwerk vorstellen, wo alles miteinander organisch zusammenhängt? bleibt aus. Dann unterhalten wir uns lieber über den Glanz universitärer Karrieren. Die Menschen glauben schier unerschütterlich hartnäckig an den Glanz solcher Laufbahnen, da kann ein ursprünglich westeuropäischer Wissenschaftler, der später einen Buddhistischen Weg gegangen ist, sehr bemerkenswert sagen, dass unter den Menschen unabhängig von Beruf und Laufbahn «schwierige» als auch «warmherzige» gibt und er keinen Zusammenhang zwischen Karriere und Wohlempfinden und Empathie bemerken konnte. Mag jemand mal darüber nachdenken, was das für das Fach Medizin oder Jura bedeuten kann? Ob ein KfZ-Mechaniker mies gelaunt und unglücklich an einem Auto schraubt oder mit höchsten Glücksgefühlen, mag dem Auto egal sein, aber ein empathielos behandelter Patient könnte diese Behandlung doch anders deuten als ein Auto. Auch die Subjektivität eines Richters ist nicht belanglos! Ganz zu schweigen von Psychiatern und «Neuropsychologen». Ich komme dahin zu fragen: wie kann es gelingen, die Bleischs dieser Welt von ihrer beharrlichen Ignoranz abzubringen? Kann ihre Bewunderung nicht auch mal in lebendige Erkenntnis umschlagen? Diese Frau ist doch nicht empathielos!

 Gedankenstrich 32

Ich muss einen Nachtrag zu "Bada$$ of the week" schreiben: und klar ist das auch ein Gedankenstrich, nämlich Nr. 32:

3. April 2022

Meine negativen Impulse, von denen ich in 31 gesprochen habe, bezogen sich nicht auf das Interview. Erst wollte ich die Mehrdeutigkeit offen lassen, aber das wäre eine unfaire Überbewertung von Barbara Bleisch. Sie ist halt, wie sie ist, und versucht ja auch nur das Beste aus ihrer Existenz, aus ihrem Ich oder Persönlichkeit zu machen. Und dabei ist sie vielleicht mit der Philosophie und ihren Interviewpartners überfordert, aber unsympathisch ist sie nicht. Und die Inhalte und Erscheinung des Matthieu Ricard stimmten mich wohlwollend und versöhnten mich mit der objektiven Welt. Und das von ihm dargelegte erinnerte mich sehr an Paul Watzlawick und seinen sehr sympathischen Vortrag über die Lösung als Problem. In diesem Vortrag erzählt Watzlawick nicht über einen Buddhistischen Mönch, sondern über einen muslimisch-alevitischen Derwisch, der in den Himmel kommt und Gott ihn fragt, ob er denn wisse, warum er in seinen also in Gottes Augen den Himmel verdient habe; der Derwisch erzählt dies und jenes: Rechtschaffenheit, Gläubigkeit, Ehrerbietigkeit Gott gegenüber, das Befolgen aller Regeln im Derwisch-Orden. Nein, nein, nein, das alles ist es nicht! «Erinnerst du dich an die kleine Katze, die du eines Winters auf dem Klosterhof gefunden hast, sie gefüttert und in deine Kammer ins Warme mitgenommen? Das fand ich sehr schön, weshalb ich beschloss, dir einen Platz im Himmel zu geben!» Wie zieht man nun aus so einer Geschichte die Quintessenz? Derwische leben nicht in einem Kloster und legen auch kein Keuschheitsgelübde ab. Sie sind nicht asketisch wie christliche Mönche und meditieren anders als Buddhisten. Derwische drehen sich zu Musik im Kreis, tanzen sich sozusagen in Trance. Ziel ist die Vereinigung mit dem Göttlichen in Auflösung des Egos. Das Göttliche wird aber auch nicht so personifiziert wie im Christentum oder Islam. Da gibt es aber auch Grauzonen der Religion. Doch das alles ist nicht wichtig und geht an der Quintessenz vorbei. Wichtig ist die Loslösung vom Rationalismus und der krampfhaften Suche nach Lösungen für Probleme, die man im Kopf erst durch Denken geschaffen hat. Die kleinsten liebenswürdigen Impulse und Freundlichkeiten dem Leben gegenüber, können die größten Wirkungen erzielen, wenn man nur endlich mal aufhören würde, zu berechnen und ziele zu verfolgen. Im 13. Paulus-Brief an die Korinther geht es um die Liebe und dass ein Glaube womöglich stark genug sei Berge zu versetzen, im Grunde aber nichts ohne die Liebe! Treffen sich da einige Aussagen? Und muss man womöglich gar kein Mönch, Derwisch oder sonstwas werden, sondern einfach nur Mensch? Da gibt es auch ein Zitat eines großartigen Humanisten W.v. Humboldt über sein Bildungsideal: «Ich mache keine Ansprüche auf die meisten andern Vorzüge, nicht auf Talente, Wissen, Gelehrsamkeit, aber gern möcht' ich Anspruch machen auf den Vorzug, Mensch und gebildeter Mensch zu sein.» Was aber, lieber Wilhelm, soll denn nun das Wort «gebildet» aussagen?

 Gedankenstrich 33

Haha, ich sehe jetzt erst meinen Tippfehler in der Antwort auf die Frage: «Ist es egoistisch sich selbst zu lieben?» Ich könnte auch löschen und neu antworten, aber da wäre der zufällige Witz weg :))) 4. April 2022
Ich habe in der Antwort geschrieben, es wäre «nazistisch» sich selbst zu lieben und habe ein R vergessen. Es wäre natürlich narzisstisch, sich selbst zu lieben, also ist das R ganz wichtig, aber auch sein Fehlen erzeugt eine neue Bedeutungsdimension, die nicht unterschätzt werden sollte in ihrer Erörterungswürdigkeit °-° Ich erinnere da an Theodor W. Adornos Forschungsarbeit «Studien über den autoritären Charakter», worin es um die Variablen der psychischen Prädisposition zum Faschismus, zu autoritären, antidemokratischen Tendenzen geht. Natürlich spielt die Seele bei politischen Einstellungen eine Rolle; politische Standpunkte der Individuen der Wahlbevölkerung, die an die Urnen gerufen wird, ist nicht sachorientiert, nicht pragmatisch und geht an der demokratischen Prämisse der Vernunftzentrierung der Aufklärung vorbei. Genau an diesem Punkt eigentlich muss über Demokratie, Rationalismus, Aufklärung und Politik nachgedacht werden. Mit einer nietzscheanischen Verachtung der Demokratie ist nichts gewonnen und geklärt. Selbstverständlich braucht eine Gesellschaft eine Ordnung, eine Verfasstheit in Recht und Staat. Ohne diese Verfasstheit ist keine Freiheit möglich, aber sie ist auch nicht möglich, wenn alle so tun, als sei mit dem Parlamentarismus das Nonplusultra der Demokratie erreicht und eingerichtet. Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass ich sofort die Feinde der Demokratie von allen Seiten auf mich ziehe, sobald ich den Parlamentarismus in Frage stelle und kritisiere. Auf den Plan gerufen sind die nach dem Führerprinzip Lächzenden, die von rassischer und völkischer Überlegenheit träumen ebenso wie Öko-Diktatoren oder bürokratische Linke, die völlig wirr auf steinalten Plakatsprüchen gegen Kapitalismus wettern und einen Sozialismus wollen, von dem sie gar keine Vorstellung haben. Eine rationale Diskussion ist in der Politik schwer zu führen, obwohl gerade hier wie nirgendwo sonst Pragmatismus als Rationalität vonnöten wäre. Aber Philosophen sollen sich nicht drücken, Philosophen sollen denken, fragen, hinterfragen und auch die Vorläufigkeit ihrer Erkenntnisse im Auge behalten. Jemand, der die Stürme scheut, darf nicht zur See fahren! Es darf also stürmisch werden, das kann nicht ausbleiben, mit den Gedankenstrichen bin ich womöglich auf der Reise, neue Kontinente zu entdecken. Auch diese Columbus-Assoziation darf ob ihres Eurozentrismus durchaus kritisiert und hinterfragt werden; es gibt einen wundervollen Film, der «Columbus-Day» heißt und in dem es nur ganz am Rande um Columbus geht; es ist keine Minute der Filmszene in einem Telefonat. Aber diese Sekunden haben es in sich. Worum es mir aber hier geht, ist der Aufbruch auf der Suche nach neuen Gedankenwelten, natürlich mit den mir bisher bekannten Navigationsmitteln. Die Gedankenstriche sind wie eine Kompassnadel, aber vielleicht hinken auch alle Vergleiche. Aber kommt man als Hinkender nicht auch weiter? Narzissmus und wirklich politisches Denken allerdings schließen sich aus ;)

 Gedankenstrich 34

Vielleicht habe ich einen Teil meiner Arbeitsphilosophie im Gedankenstrich 28 formuliert. Es war die Antwort auf die Frage "Bist du besser darin, dich selbst erfolgreich hinters Licht zu führen oder dich dabei zu erwischen?" Eine sehr künstlerische, artistisch-philosophische Frage! Sie führt natürlich auch zur Motivationsthematik: Was treibt eine künstlerische Persönlichkeit an? Was hält sie bei der ästhetischen Stange? Welche Themen beschäftigen sie und treiben sie an? @Schlagtot Solipsismus, Einsamkeit, Isolation, Rückzug, Enttäuschung, Frustration, Träume, Illusionen, Eitelkeit, Gefallsucht... und warum kommt das Stichwort, das ja nun wirklich zum Kern der künstlerischen Arbeit gehören müsste, so spät? Idealismus! Das Wort hat mehrere Bedeutungen. Hier ist nicht die philosophische Grundhaltung gegenüber dem Materialismus gemeint, was in der artistischen Lebensführung aus der Sicht der bürgerlichen Ideologie und deren Relikte in der ästhetischen Lebensweise selbst schnell umgedeutet wirdzur Akzeptanz von Armut im zugunsten höherer Ideale. Der Kunst wird also eine Verzichtsideologie aufoktroyiert! Das kann nicht im Interesse einer ästhetischen Lebensbejahung sein.
Erst einmal aber geht es darum eine Idee wertzuschätzen. Dann geht es darum, Ideale zu entwickeln. Das sind hehre Ziele, wonach sich das eigene Leben ausrichten kann und auszurichten versucht. Aber gerade hierbei ist Vorsicht geboten, Vorsicht nicht in dem Sinne, dass man die Finger davon lassen sollte, sondern so achtsam vorgehen, dass man nicht auf die Tretminen und Fallen tritt, die auf dem Feld liegen. Denn es schleicht sich schnell wieder die Verzichtsideologie ein und verlangt Märtyrertum, die Aufopferung des Selbst für eine hehre Idee! Das ist verlogen! Ideen müssen lebensbejahend und fördernd sein, wenn man sich vernichtet hat für eine Idee, hat man doch nichts von dieser Idee, was vollkommen absurd ist. Der wahre Idealismus besteht weder aus Aufopferung und Verzicht noch aus einer linearen Bewegung. Er ist eine Summe von Vektoren unterschiedlichster Wirkungsrichtungen. Die Einzelperson ist aber nicht nur genetisch strukturiert, sondern auch kontextuell, konventionell, sozial, ökonomisch überstrukturiert. Es gibt sowohl einen strukturellen Unterbau als auch Überbau. Und die Einzelperson ist wie eine Schnittmenge der Strukturen und Summe der Kraftvektoren. In der Regel denken wir uns Strukturen als im Hinter- und Untergrund wirkende Regelsysteme vergleichbar mit Computerprogrammen oder dem genetischen Code. Daneben aber komme ich mehr und mehr zu der Vorstellung, dass eine Unterscheidung zwischen Überstrukturen und Substrukturen auch unterschieden werden könnte, was ja als "Überdeterminiertheit" dem philosophischen Denken längst ein Begriff ist. Es ist jedenfalls wichtig, die Rolle der Überdeterminiertheit für das Leben in Gesellschaft mitzudenken. Diese Überdeterminiertheit ist nicht nur ein Hindernis und ein Nachteil für individuelle Entwicklungen.

 Gedankenstrich 35

Aus dem Humus der Strukturen und Überstrukturen erwächst die Pflanze des künstlerischen Bewusstseins, wenn das Bild nur mal nicht falsch ist und in die Irre führt! Denn die Pflanze ist ein qualitativer Sprung gegenüber dem Humus, eine eigene, eigenartige, neue, selbständige Entität. Und diese Vorstellung macht eigentlich das bisherige Bild kaputt, nein, die Einzelperson, die künstlerische Persönlichkeit ist kein Pflänzchen aus einem Humus aus Gesellschaft und Psyche. Werden wir dem gerade erst geschaffenen Gleichnis mit Vektoren nicht sofort untreu! Wir wechseln nicht das Bild und gehen nicht der Genieästhetik auf den Leim, indem wir die künstlerische Persönlichkeit wieder zu einem Pflänzchen stilisieren. Bleiben wir ruhig dabei: sie ist eine Summe und Schnittmenge! Denn dann ist und bleibt sie analysierbar, ohne ihre Organik einzubüßen, während wir eine Pflanze zur Analyse zerschneiden und zerlegen. Die künstlerische Persönlichkeit muss, sobald sie sich ihrer selbst bewusst zu werden beginnt, gesellschaftlich positionieren. Die Frage lautet schlicht und erdrückend: was willst du mal damit machen? Broterwerb wird zur Legitimation der Tätigkeit bzw. der Positionierung. Dabei gilt es nun etwas ganz besonders hervorzuheben, was allerdings die Frucht, das Ergebnis eines menschenlebenslangen Entwicklungs- und Auseinandersetzungsprozesses ist: das Künstlersein ist eine Lebensform und mit den Normen und Maßstäben bürgerlicher Lebensformen unvereinbar, inkommensurabel, nicht zu begreifen, nicht zu messen! Die Frage "was willst du mal damit machen?", was eigentlich die Paraphrasierung des Verdikts darstellt "brotlose Kunst!", lässt sich nicht sinnvoll beantworten. Man kann nur aneinander vorbeireden aufgrund der Inkommensurabilität der Diskurse.
Dessen wird eine junge, heranwachsende künstlerische Persönlichkeit sich weder bewusst sein, noch wird sie es für sich klar formulieren und für andere klar und deutlich als Standpunkt eines Ich-sagenden Subjekts artikulieren können. Wie soll man auch etwas artikulieren, wessen man sich kaum bewusst ist und sich das Selbstbewusstsein hierzu noch entwickeln muss! Das sozial-ökonomisch strukturelle Problem ist, dass die bürgerliche sprich kapitalistische Gesellschaft für eine ästhetische Lebensform nicht nur völlig ungeeignet ist, sondern auch kaum Nischen bietet. Dieses Problem ist weder neu noch neu erkannt. Bereits die herangereifte Romantik konnte dies klar erkennen und artikulieren und die Tendenzen dazu waren schon von Sturm und Drang und Klassik erspürt sowie thematisiert. Man kann aber auch sagen, dass in Hölderlin eine Symbolfigur des Problems entstand. Ein Problem, das euphemisiert, relativiert und kaschiert wird. Die Strategie hierzu ist, das Problem zu individualisieren. Hölderlin wird nicht als Symbol eines Symptoms gesehen, sondern sein Problem als ein individuelles hingestellt. Er sei geistig verwirrt, umnachtet oder verrückt. Ob er es war und warum er es geworden ist, wird bis heute soweit heruntergespielt, bis das Problem als solches nicht mehr erkennbar ist. Die Frage ist: wie können in einer Gesellschaft ästhetische und utilitaristische Lebensweisen symbiotisch ineinander greifen oder doch zumindest, wenn sich das als schwierig erweist, parallel nebeneinander existieren? Die Aktualität Hölderlins rührt daher, dass er, wie einige Intellektuelle seiner Zeit nicht prophetisch die gesellschaftlichen und einzelmenschlichen Erschütterungen vorausgesehen aber doch seismographisch hochsensibel in ihren Anfängen schon gespürt haben. Vielleicht hat sich im Laufe der Zeit die kapitalistische Kultur so weit entwickelt und in die Menschen hineingefressen, dass wir heutigen als hochsensibel empfinden, was jedem Menschen mit halbwegs offenen Sinn leicht ersichtlich war.

 Gedankenstrich 36

Die Abhängigkeit von Subjekt und Objekt heißt weder, dass die Objekte nicht existieren oder "an sich" nicht existieren noch dass Perspektivabhängigkeit der Wirklichkeit sie zur Ansichtssache macht im Sinne von «jeder hat seine eigene Meinung darüber!» Das wäre in etwa so, dass wir der Person, die uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzt, die Existenz absprechen, weil wir ihr nicht zugleich ins Gesicht und auf den Hinterkopf schauen können. Bleiben wir im Bild: die Person spricht etwas und wir verhalten uns dazu völlig gleichgültig. «Kann sein, dass sie etwas gesagt hat, oder aber auch nicht. Der Inhalt könnte wichtig sein, vielleicht hat die Person einen Wunsch, ein Bedürfnis geäußert, vielleicht braucht sie Hilfe und hat mich um etwas gebeten. Vielleicht aber auch nicht! Vielleicht gibt es diese Person vor mir, die mit mir spricht, auch gar nicht!» Letztendlich hat diese Gleichgültigkeit auch etwas mit sozialer Kälte zu tun, deren Gegenstück die Empathie ist. Zu den Paradoxien des Subjektivismus gehört unmittelbar das Phänomen der Sprache. Die Aussage, dass alles subjektiv sei, ist wie jede Aussage im Vertrauen auf eine vorhandene und nicht beliebige Semantik formuliert, die nicht ein solipsistisches Individuum aus sich selbst nur für sich geschöpft hat. Die Sprache ist, so innerlich sie ist, ein Vorgefundenes! Ihre Ambiguität und Bedeutungs- wie Verwendungsvielfalt verleiten uns zu der Annahme, man könne sich mit ihr überhaupt nicht ausdrücken, verständigen und auf sie verlassen. Aus der Möglichkeit eines Missverständnisses wird notwendige immerwährende Täuschung abgeleitet. Dieses Fehlschlussmuster ist gesellschaftlich verankert und kulturell geprägt. «Wer einmal lügt, dem glaubt man nimmermehr!» Das basiert auf dem Zuverlässigkeitsfetischismus, der Warenverkehr, Dienstleistungen, Handel und Produktion so reibungslos wie möglich machen soll. Der Solipsismus wird zur dialektischen Umkehrung dessen, was eigentlich auf dem Vorhandensein anderer Entitäten, also Objekten, basiert. Das solipsistische Individuum kann keine Dienstleistungen anderer in Anspruch nehmen, in dieser Ideologie gibt es keine anderen. Auf der einen Seite soll der Verkehr mit Waren, Dienstleistungen, Kapital, Krediten reibungslos und zuverlässig funktionieren, auf der anderen Seite wird zugleich diese Welt zur Scheinwelt deklariert. «Von Subjektivisten leihe ich mir gerne Geld», pflegte meine Philosophieprofessorin Ursula Neemann zu sagen, denn da könne sie trefflich behaupten: «1. Hast du mir nichts geliehen; 2. Habe ich es dir bereits zurückgegeben; 3. War es nicht so viel, wie du behauptest! Denn schließlich hat doch jeder seine Wahrheit.» Den Subjektivismus kritisieren handlungsorientierte politische Theorien besonders, weil er konzertierte Aktionen erschwert. Beliebigkeit und verbindliche Absprachen widerstreiten einander. Handlungsorientierte Politik verschanzt sich hinter Autoritarismus und Subjektivismus hinter Liberalismus!


Gedankenstriche 37-48
 
 
Uri Bülbül
freier Literat und Philosoph
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