Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 
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Sonderkomplex Gedankenstrich 49

Grundfragen der Ethik



Oha, da hat jemand die Gelegenheit wahrgenommen schwere Geschütze aufzufahren und meine Seele herauszufordern.Puh. Mit Analogien lässt sich leichter Hantieren.

Also die Frage ist, ob wir in oder außerhalb der Matrix leben und ob das Leben in der Matrix als solches überhaupt lebenswert und richtig ist?

Für unser Dasein können wir nichts. Man kann uns nicht verübeln zu existieren, weil wir einfach da sind. Folglich gibt es kein Richtig und kein Falsch. Es gibt Moralvorstellungen, Gesetze und Gewissen. Doch sind das keine vorgegebenen Konstrukte, sondern "künstlich" erschaffene. Diese ergeben sich durch das Miteinander, durch Erfahrung, Eindrücke, etc. Vielleicht ist diese Frage für dich als Philosophierender schon so inflationär gestellt worden, dass du die Lust an ihr verloren hast, aber: Was ist Leben überhaupt?

Wenn ich mich nach meiner eigenen Auffassung "aktiv" für etwas entscheide, lebe ich dann? Lebe ich nicht auch, wenn ich nicht alles aktiv selbst entscheide? "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" klingt wie die Boulevardpresse, die versucht Panik zu verursachen.

Egal in was wir leben, wie wir leben, ob wir leben oder nicht; ob es eine Matrix, ein System oder Mayonnaise ist, das einzige was wir haben ist unser Bewusstsein. Darüber hinaus gibt es keinen Weg zu erfahren, was "wahr" ist.

Wir müssten ohne eigenes Bewusstsein das Leben/die Matrix von außen betrachten können, um bewerten zu können, ob wir wirklich leben. Selbst dann gibt es keine Garantie darauf, dass wir auch wirklich alles von außerhalb betrachten können. Vielleicht ist das noch ein netter Denksport, sehe ich doch keinen Nutzen einer Antwort. Selbst wenn wir wüssten, wie uns geschieht, die Rahmenbedingungen bleiben die gleichen.

Es gibt kein definiertes Richtig oder Falsch.

Ich und mein Bewusstsein nehme[n] unser Schicksal selbst in die Hand und tun, wonach uns ist. Wir leben wirklich.

Lebt der Hund wirklich in der Welt? Oder lebt er im System? Lebt er richtig? Lebt der Hund wirklich? (@DerBilal)

19. Juli 2022

Du machst mir Gedanken, das finde ich gut. Danke dafür.

Korrekter Weise müsste man sagen: Du machst mich denken, oder du machst mich nachdenklich (was aber schon eine etwas andere Bedeutung hätte). Sprachanalytische Genauigkeit ist mir wichtig.

Lebt der Hund wirklich? Ja, wenn man wirklich so versteht wie real. Wir leben ja alle wirklich: Nur verstorbene Schauspieler, die man in Filmen noch sehen kann, leben nicht mehr wirklich.

Versteht man aber "wirklich" im Sinne eines idealen Lebens, leben wir alle nicht "wirklich" - und der Hund als unser Kulturwesen und Begleiter auch nicht! In diesem Sinne ist auch "richtig" gemeint: leben wir "wirklich" (oder "richtig") oder existieren wir fremdbestimmt vor uns hin und werden nur noch ausgebeutet (extrem aufgezeigt im Film MATRIX). Den Menschen wird ein Leben ins Hirn projiziert, aber in Wirklichkeit liegen sie als Energielieferanten in gläsernen Särgen an Schläuchen und Kabeln. Das ist natürlich kein "richtiges" Leben; und versteht man Adorno so, dann gibt es kein richtiges Leben im falschen (=in der Matrix).

Man kann aber auch sagen: "richtig" verstehen wir nicht gleich "wirklich", sondern als "ethisch korrekt". Diebstahl ist nicht richtig, kann man zum Beispiel sagen. Oder: es ist nicht richtig, seine Freunde zu betrügen. Wobei Betrug an sich ja als verwerflich angesehen werden kann: Betrug wäre dann niemals "richtig". Aber wenn man es "richtig" macht, fliegt es nicht auf ;) So sind die Sprachspiele und Bedeutungsunterschiede.Meine kynosophische These ist aber nun: wir können von Hunden lernen - im Sinne einer Lebensweisheit.

Wir können aber nur dann richtig von Hunden lernen, wenn wir sie auch richtig behandeln, also sie nicht zu sehr nach der Manier der Hundeschule gängeln und reglementieren, an der Leine ziehen und zerren. Wir sind im Kern des Problems: Dürfen sich Lebewesen, insbesondere soziale Lebewesen wie Menschen und Hunde ihrem Wesen, ihrer Natur, nach entfalten und verhalten oder unterliegen sie Zwängen, die sie verbiegen. Mir hat ein Mann mal von einem Hund erzählt, den er auf dem Hof im Zwinger gefunden hat, den er als Immobilie käuflich erwarb. Die Vorbesitzer des Hofes haben den Hund einfach dagelassen. Der Hund war im Zwinger an einer Schleppleine angeleint, er konnte immer nur in diesem Radius im Kreis laufen. Der Mann nahm den Hund von der Leine, aber er konnte die erste Zeit nur im Kreis laufen und traute sich auch nicht aus dem Zwinger. Ein richtiges Leben war das also für ihn nicht.

Wir leben alle im Spannungsverhältnis System und richtiges Leben und wenn ich jetzt noch einmal Adorno zitieren darf: es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Also hat der Hund im Zwinger falsch gelebt? Oder gar nicht gelebt, weil es im falschen Leben stattgefunden hat? Muss er denn das ideale Leben anstreben, indem er von der Leine/Dem Zwinger losgelöst wird? Meine Frage ist: Warum sollte projiziertes Leben im Hirn, was der Ausbeutung dient falsch (@DerBilal)

20. Juli 2022

Noch immer klebst du an der hier nicht gemeinten Bedeutung von "richtig", das Gegenteil davon ist in diesem Fall nicht falsch - sondern "nicht wirklich"! Der Hund im Zwinger, der nur im Kreis rennen konnte, weil er auch noch angebunden war, hat kein wirklich schönes Leben gehabt bis zu seiner Befreiung. Natürlich war er biologisch am Leben, hat also gelebt - aber wie viele Bedeutungsvarianten findet man, wenn man nur etwas über Adornos Satz nachdenkt! Ein richtiges Leben kann man auch als ein erfülltes Leben bezeichnen, als ein glückliches Leben, Glück nicht als Zustand, sondern als ein umfassendes Wohlbefinden über lange Zeiträume.

Die Menschen, denen der Hof zuvor gehörte, haben wahrscheinlich selbst ein falsches Leben geführt, waren überlastet, unglücklich, fühlten sich unwohl, als sie verkauften, hatten sie so wenig herzliche Bindung zu ihrem Hund, dass sie ihn einfach zurückließen. Auf deine Frage: «Warum sollte projiziertes Leben im Hirn, was der Ausbeutung dient falsch [sein]?» Hier dreht sich mir ganz ehrlich der Magen um und es ist nur meiner Professionalität zu verdanken, dass ich eine begründete Antwort versuche: Empathie, Mitgefühl, Solidarität sind lebenswichtige Grundbedürfnisse sozialer Wesen - von Hunden wie von Menschen! Auch andere Tiere und Tierarten zeigen dieses Bedürfnis. Dem zu entsprechen und emotionale Wärme auszustrahlen schafft ein Wohlgefühl bei den Mitwesen und wirkt als ein ebensolches wieder auf einen selbst zurück. Ausbeutung, Gewalt, Vergewaltigung, Versklavung erzeugen Stress bei Tätern und bei ihren Opfern erst recht. Dieser Stress ist nicht zuletzt auch mit Angst verbunden, dass die Opfer sich irgendwann rächen könnten. All dem ist ein Leben unter dem Motto «Leben und leben lassen» weitaus angenehmer für alle.



In der MATRIX geht es genau um diese Frage: nimmst du die blaue Pille, bleibst du im System der Illusionen, nimmst du die rote Pille, beginnt für dich der schmerzhafte Ausstieg aus dem Apparat. Ich habe mich über die Bedeutungsverdrehung in einer vorangehenden Frage aufgeregt, weil die Frage das Problem völlig verkennt und blaue Pille zur Zukunftspille und die rote für die Reise in die Vergangenheit nimmt. Mit Verlaub, das fand ich sehr dämlich! Die Frage stellt sich denjenigen, die widerständig werden, dass mit ihrem Widerstand das bequeme Existieren in der illusionären Blase endet und ein Lebenskampf beginnt. Sollte man da nicht besser den Kopf in den Sand stecken und in der Blase weiterhin das Leben führen, was andere für "falsch" halten. Subjektiv könnte es das richtige sein. Diese Haltung prägt ja auch unsere Gegenwart. Das Ausbeutungssystem aber lässt sich nicht strikt ignorieren, die Ignoranz rächt sich: Stress, Depressionen, Neurosen, Psychosen, Angst, Krebs, Burnout, oder Kriege, eine ökologische Katastrophe. Der Hund strebt übrigens nichts an, sondern muss sich orientieren und zu sich selbst finden, nach einer Weile bei seinem neuen Herrchen, strahlt er Glück aus, es geht ihm besser.

Ist falsches Leben nicht auch Leben und damit grundlegend NICHT falsch? @DerBilal

20. Juli 2022

Aus der Ferne der Abstraktion scheint diese Frage so naheliegend und berechtigt, doch je näher man dem Leben kommt, desto absurder ist sie: Schuften als Kind in Kobaldminen oder für billige Mode in Europa in Bangladesh oder sonstwo; leben in der Sklaverei, in Bergwerken, Fabriken und nur für die Arbeit, bei der man kaum mehr erhält als das zum Leben notwendigste - da ist "Leben" = Überleben! Und da fragst du, ob das nicht auch Leben ist und damit grundlegend nicht falsch!

Der Rationalismus erlaubt uns solche gedanklichen, begrifflichen Abstraktionen, dass wir schnell eine Höhe erreichen, aus der heraus alles heile erscheint. Deshalb prangere ich den Rationalismus auch so stark an.

Wittgenstein sagt: Denke nicht! Sondern schau! Also mach die Augen auf und diskutier mit mir nicht um des Diskutieren Willens. Aber das trifft nicht nur auf dich zu, lieber Bilal. Das betreibt die überwiegende Mehrheit der Menschen um mich so. Aber mich wundert das nicht: es gibt eben kein richtiges Leben im falschen, warum also sollte ich richtige Freunde haben in überwiegender Mehrheit! Kaum jemand reagiert auf meine philosophischen, literarischen und politischen Äußerungen mit konstruktiver Kritik - die meisten setzen den Hebel und ihr Gift dort an, wo sie mein Bewusstsein zersetzen zu können glauben: eine Uri-Demoralisierung könnte ja ihr Weltbild bestätigen. Das schreibe ich jetzt nur, um aus meiner Lebenssituation etwas zu erzählen und meine nur zu einem geringen Teil dich persönlich. Die sollte hieraus nur die Äußerung treffen, dass deine Frage ein Kind des Rationalismus ist.

Also mach die Augen auf!

Warum sollte projiziertes Leben im Hirn, was der Ausbeutung dient falsch sein? Ist falsches Leben nicht auch Leben und damit grundlegend NICHT falsch? @DerBilal - Ein Nachtrag von Uri...

21. Juli 2022

Ich habe ja geschrieben, dass mir bei dieser Frage sich der Magen umdreht! Ja, und nun muss ich aber sagen: dir ist doch damit die gute Provokation bestens gelungen! Wir können auch als advocatus diaboli fragen: warum nicht Mord und Totschlag? Warum nicht Diebstahl? Vergewaltigung? Krieg? Raub und Überfall? Zerstörung und andere Lebewesen quälen? Spinnen Beine ausreißen oder Fliegen die Flügel ausreißen? Kennt das nicht fast jedes Kind? Und Marquis De Sade? Ja, sollen wir denn gar nichts von ihm gelernt haben? Quälen und leiden lassen kann so schön sein! Ist es kein "richtiges Leben", wenn Folterknechte in Folterkammern der Diktaturen Oppositionelle foltern? Warum gehorchen die nicht aber einfach auch, sondern spielen sich als Oppositionelle auf? Ist es denn nur ein "richtiges" Leben, wenn man sich gegen Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung stemmt? Ist es kein richtiges Leben, wenn man Menschen öffentlich auspeitscht, auspeitschen oder ihnen Hände abhacken lässt? Das ist doch nicht grundlegend falsch, oder? Habe nicht gerade ich selbst höchstpersönlich noch geschrieben, dass "richtig" hier nicht unbedingt nur als "moralisch richtig", ethisch gelesen werden muss?

Wir können erstens die Frage weiter zuspitzen: wie begründet sich Ethik, wie begründet sich Moral eigentlich? Warum also Ethik und Moral?

Zweitens können wir doch glasklar feststellen, dass die Welt doch all die oben erwähnten Dinge lebendig und in Farbe präsentiert und für uns bereithält. Wozu also das Herummoralisieren?

Es muss doch auch eine Philosophie der blauen Pille geben dürfen!

Gibt es! Und mit Denkverboten und Tabuisierungen kommen wir dem Ganzen meiner Meinung nach auch aus der Sicht der Philosophie der roten Pille nicht bei! Also egal, ob sich Herrn Bülbül der Magen umdreht oder nicht! Man wird ja mal fragen dürfen! Absolut richtig!

Arthur Schonpenhauer schrieb ein Buch über die Grundlagen der Moral und kommt letztlich an den Punkt, dass der moralische Grundsatz, als Maxime, heißt: «Was man nicht will, das man dir tu', das füge keinem anderen zu!» Und warum soll man diesen Satz beachten? Damit man im Leben richtige Entspannung findet. Und warum ist Entspannung wertvoll? Weil sich dadurch das Leben angenehmer und üppiger entfaltet. Man keine Ängste zu haben braucht und Ängste einen immer beschneiden und behindern. Das Leben strebt nach Wohlbefinden! Und das Leben ist ultima ratio condotio sine qua non!

Hoppla! Kommt dir das jetzt Spanisch vor :))) Ist Latein zusammengefügt aus zwei Redewendungen. Das letzte Mittel (der Begründung) eine Bedingung, ohne die nichts geht.

Monotheistische Religionen versprechen sogar ein Leben nach dem Tod auf ewig, wenn man zuvor alle ihre Regeln brav erfüllt. Sonst würde ja auch niemand für hehre Ziele sterben wollen - wäre niemand zum Verheizen da!




Gedankenstriche 49-60
 
 
Uri Bülbül
freier Literat und Philosoph
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