Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 
 
09.07.2024


Ich liebe es, wie dein Hund in die Kamera lächelt, als hätte der Kameramann den besten Witz aller Zeiten gebracht.

9. Juli 2024

Ich mag deinen Nicknamen: neyse. Hadi Neyse, so bekommst du von mir auch einen Vornamen geschenkt. So sentimental irgendwie, wehmütig ist dein Name und gar nicht so leicht zu übersetzen. Aber der deutsch-türkischen Community ist es egal, ob die anderen ihren Mischcode oder ihr Codeswitching verstehen oder nicht. Die Community bleibt im Kauderwelsch unter sich und genügt sich selbst. Es ist nicht meine Herangehensweise an diese Gesellschaft und ihre Vielfalt. Und doch hat neyse eine schöne melancholische Bedeutung in mir: "ach, was soll's" könnte man sagen oder "wie auch immer", da scheint es etwas zu geben, dessen Faktizität eine leicht resignative Haltung hervorruft, aber man versucht mit einem "wie auch immer" auf Türkisch "neyse" diese Mauer zu umgehen; wenden wir uns einem anderen Thema zu, dann kommen wir weiter. Ich mag diese Haltung.Was meinen Hundefreund anbelangt: er lacht oder lächelt nicht. Er genießt seinen leckeren Kauknochen, den er zwischen den Pfoten hält. Und der Kameramann ist ein toller Teamkollege, dem man nachsagte, er lache nie. Über meine Witze lacht Victor sehr häufig. Wir verstehen uns. Er selbst macht manchmal auch einen Witz, meistens aber ist er einfach bei der Sache - und dazu gehört die Aufmerksamkeit meinem Freund gegenüber, von dem ich die Kynosophie erlernt habe. Und ich übersetze diese wundervolle Hundephilosophie in die menschliche Philosophie und bin davon überzeugt, dass mein menschliches antikes Vorbild, das ich mir ein Stück weit selbst ausgemalt habe, Diogenes von Sinope, ebenso die Hunde verstehen konnte und seine Lebenshaltung danach ausgerichtet hat, womit er legendär wurde. Meine Absicht ist es nicht, legendär zu werden, wie es sicher auch Diogenes' Absicht nicht war. Keiner konnte so schön ein Leckmich von sich geben wie Diogenes, so dass ich erkennen kann, dass in Gelassenheit auch das Loslassen steckt. Neyse, wechseln wir das Thema: natürlich drücken Hunde bestens ihre Stimmungen aus, nur ist unsere verzivilisierte Gesellschaft nicht in der Lage, annähernd die nötige Empathie aufzubringen, dies und sich selbst zu verstehen. Immer noch will ich in einem Essay mich zu diesem Thema bezugnehmend auf Shakespeares "Hamlet" auslassen, aber lassen wir es mal bei Seite. Ich werde viele meiner Absichten mit ins Grab nehmen, wenn ich nicht eine Feuerbestattung bekomme, weil es billiger ist und ich mir nicht mehr leisten kann. Neyse, darüber müssen wir uns auch nicht auslassen, was soll's?
 
 
Uri Bülbül
freier Literat und Philosoph
• Waterloostraße 18 • 45472 Mülheim a.d. Ruhr