Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 


Ich sehe häufiger deine Herzen unter meinen Fragen. "Neyse" bedeutet im Türkischen etwa "ach, was soll's?", ein etwas resignierter Seufzer. Erzähl mir bitte, wer bist du? Ich will nicht Name, Adresse o.ä. sondern ein Persönlichkeitsbild von dir im Spiegel deiner Erzählung. Bitte! (Klugdiarrhoe)

4. Januar 2024

Hallo Uri. Oy vey, das ganze Bild willst du? Ich kanns ja mal versuchen. Die Schnipsel musst du selbst zusammensetzen. Ich versuche Bilder und Wege aufzuzeigen auf resignierte Seufzer. Die spiegeln nicht immer meine Meinung wieder, eher ein Austasten an Möglichem. Meinungen halte ich oft für den Gegenspieler der Erkenntnissuche, beobachte lieber. Auch da wo andere wegsehen. Eine Reise durch ein Krìegsgebiet hat für mich mehr Reiz als Strandurlaub. Ich mag die Komplexität, schlängle mich entlang von Konfliktlinien und über Grenzen, das ist wie ein Tanz und ich bin gut darin, möchte für andere tanzen. Ich bin wandelbar und das schon immer gewesen. Fühle mich überall schnell daheim, hab das nomadische im Blut. In gewisser Weise gehe ich den umgekehrten Weg, vom Auswanderer zum faden Dorfleben wie ich es mir oft gewünscht habe. Jetzt bin ich da angekommen und glücklich, aber die Angst bleibt, ob ich das längerfristig schaffe. Ich brauche einen heterogenen Lebensraum und die Möglichkeit, meine hunderttausend Hobbies und Interessen ausleben zu können. Das Internet bietet ein heterogenes Umfeld auch in räumlicher Distanz. Gibt mir genug Input und Möglichkeiten, mich aus der Ferne für das zu engagieren was mir wichtig ist. Menschen, Umwelt, Teil des Ganzen sein, was beitragen zum Wohle aller Lebewesen. Die Spiritualität hat mich in die Naturwissenschaften gebracht und die zu den Menschen und die wiederum zu Erkenntnissen und so schließt sich der Kreis. Und ich mach mir jetzt ein zweiten Frühstück und setze mich an meine Thesis. Naturwissenschaftler sein ist auch ein Tanz. Alles ist ein Tanz. Bleibt uns anderes übrig? Möge dein Tag wenig Resignation kennen!



Ach Mensch! Jetzt bemerke ich, dass du nicht den Nickname "neyse" hast, sondern dass "neyse" dich was gefragt hat. Aber was solls, mein Interesse ist trotzdem da, denn die Likes kommen von dir! Würde mich über deine Antwort sehr freuen. Und du hast jetzt zwei Fragen von mir und 6000 Zeichen Platz! (Klugdiarrhoe)

(y_soflyyy)

4. Januar 2024

Der Name Uri ist schon seit vielen Jahren unter den Top Ten der vergebenen Bubennamen in Israel. Er bedeutet Gott ist Licht. Ist Gott Licht? Wie kamst du denn zu dem Namen? Aktuell verbinde ich den Namen übrigens stark mit deinem Namensvetter Uri Weltmann. Einer der führenden Aktivisten von Standing Together, eine der für mich derzeit interessantesten Friedens (oder Widerstands?) -Organisationen im heiligen Land. Er wird manchmal gemeinsam mit einem arabischem Counterpart von internationalen Medien interviewt, stellvertretend für die Ansichten aller die gegen den Krìeg protestieren. Jetzt hab ich dir zwar weniger über mich erzählt als über das was mich umgibt, aber daraus lässt sich sicherlich auch was ableiten.

Hey, Du hast mir mit deiner Antwort große Freude gemacht. Aber klar kann ich sehr viel auch über dich erkennen - so viel, wie ich zu erkennen vermag! Uri ist nicht mein Name, den mir meine Eltern gegeben haben. Ich heiße Uður, mit dem türkischen weichen G, was zur Dehnung der Vokale dient. (Klugdiarrhoe)

4. Januar 2024

@y_soflyyy Zu Uri kam ich sehr früh in Deutschland, weil meine Freunde den Namen nicht richtig aussprechen konnten und es wie "Uhr" aussprachen und dann ein "i" anhängten, weil das so üblich war unter Freunden: aus Dietmar, wurde Didi, aus Tobias Tobi, aus Michael Michi und aus "Uhr" oder "Uður" Uri! Kaum hatte ich den Namen, der mir sehr gut gefiel, tauchte Uri Geller aus, der Magier und "Löffelverbieger". Auch in der Schweiz gibt es einen Kanton namens Uri. Ich habe mich auch bald an den "Witz" gewöhnen müssen, der von Menschen kam, die mich nach meinem Namen fragten, ob ich denn auch Löffel verbiegen könne. "Ja", sagte ich, "klar: mit Gewalt"

Meine Lehrer nannten mich immer Ugur mit dem hart ausgesprochenen G. Und meine Freunde Uri!

Mir gefiel Uri, zumal er ja nicht nur ein Phantasie- und Kantonname in der Schweiz war, sondern auch ein Jungenname in Israel! Und das unterstrich doch sehr die Daseinsberechtigung meines neuen Namens, den meine Eltern seltsam fanden; mein Vater hat sich in seinen späten Lebensjahren damit abgefunden und nannte mich dritten gegenüber dann auch "Uri". Und nun lese ich zum erstenmal deine Erklärung zu dem Namen: Er bedeutet Gott ist Licht. Ist Gott Licht?

( https://ask.fm/y_soflyyy/answers/174418604053 )

Fragst Du mich das wirklich?

Ich bin ein atheistischer Mystiker, ein postmoderner Romantiker, Gott ist nichts von alledem, was die Religionen aus ihm machen! Es gibt das Unvorstellbare des Universums, von dem wir nicht einmal wissen (können?), ob es eine Kugel ist oder sich immer weiter ins Unendliche ausdehnt, und wenn es eine Kugel ist, wovon diese Kugel noch umgeben ist. Von Gott? Oder von nichts?

Wir wollen uns so große Gedanken machen als Menschheit: so entstehen Religionen und Metaphysik, aber wir bekommen nicht den einfachsten Frieden auf der Welt hin, stattdessen morden wir immer weiter und weiter, führen Kriege und sind militaristisch! Leider muss ich hier von einem "wir" sprechen, weil ich doch lieber ein leidender Hund wäre als ein Mensch im Zustand dieser Menschheit!

Die Zugehörigkeit zur Menschheit ist beschämend.

Aber auch in dieser Menschheit gibt es eine Menge Menschen, die auch mir vorbildhaft erscheinen, so zum Beispiel jene, von denen du schreibst: «Aktuell verbinde ich den Namen übrigens stark mit deinem Namensvetter Uri Weltmann. Einer der führenden Aktivisten von Standing Together, eine der für mich derzeit interessantesten Friedens (oder Widerstands?) -Organisationen im heiligen Land. Er wird manchmal gemeinsam mit einem arabischem Counterpart von internationalen Medien interviewt, stellvertretend für die Ansichten aller die gegen den Krìeg protestieren.» Das ist in den meisten Ländern sehr, sehr mutig und mit großem persönlichen Risiko verbunden. Ich bin kein Weltmann, ich bin nur ein Bülbül. Wahrscheinlich habe ich Dich nach Deinem Persönlichkeitsbild von dir im Spiegel deiner Erzählung gefragt, um über mich zu erzählen :)

Wie sehr brauchst du die Komplexität? Wäre es schöner, wenn alles einfacher wäre? (y_soflyyy)

4. Januar 2024

So viel Weisheit spricht aus deinen Sätzen: «...mich aus der Ferne für das zu engagieren was mir wichtig ist. Menschen, Umwelt, Teil des Ganzen sein, was beitragen zum Wohle aller Lebewesen. Die Spiritualität hat mich in die Naturwissenschaften gebracht und die zu den Menschen und die wiederum zu Erkenntnissen und so schließt sich der Kreis.»Ich hingegen spreche aus Zorn, Wut und Scham: «Wir wollen uns so große Gedanken machen als Menschheit: so entstehen Religionen und Metaphysik, aber wir bekommen nicht den einfachsten Frieden auf der Welt hin, stattdessen morden wir immer weiter und weiter, führen Kriege und sind militaristisch! Leider muss ich hier von einem "wir" sprechen, weil ich doch lieber ein leidender Hund wäre als ein Mensch im Zustand dieser Menschheit!Die Zugehörigkeit zur Menschheit ist beschämend.»Ich fühle Ohnmacht und so viele zerborstene Hoffnungen, Irrglauben meinerseits! Ich bin auch wütend auf mich, weil ich falschen Menschen, Idealen, Organisationen, Freunden vertraut habe. Und ich bin wütend darüber, dass ich nicht mit 61 Jahren und den dazugehörigen Erfahrungen nicht noch weitere 61 Jahre wirken kann und im Kreis wandern wie Du: «Die Spiritualität hat mich in die Naturwissenschaften gebracht..." usw.Ich bleibe in meiner wutgefärbten Sicht: die Naturwissenschaften sind positivistischer Bockmist, prinzipiell unfähig, Leben und Lebendiges zu erkennen, Vitalität zu fördern und Teil des Ganzen zu sein. Nichts können sie zum Wohle aller Lebewesen beitragen! Und so schließt sich kein Kreis!Aber nein, ich werde nicht dabei stehen bleiben: was mich wirklich innerlich ergriffen hat, ist dialektisches Denken! Komplexität und Einfachheit gehören zusammen: "einfach" heißt nicht "schlicht" oder "primitiv", sondern aus Einem bestehend: einfach vs. vielfach (d.h. zusammengesetzt) sozusagen. Das Universum ist komplex und einfach zugleich wie das Leben! Das Leben ist eine Monade des Universums, oder ein Brennpunkt, ein Fokus. Und die Naturwissenschaften? Sie simulieren eine Wirklichkeit, die sie dann erforschen und totalitär zum Universellen erheben. Schau dir die ganze Determinationsdebatte der Neurologen an. Das ist unseriös und widerspricht dem propagierten eigenen Wissenschaftsethos! Aber schau mich an: wie wütend und großmäulig ich werden kann und vom Universum und Leben schwadronieren, wenn du meinen polemischen Nerv triffst. Aber du hast ihn eher gestreichelt als mit dem Bohrer wie ein Zahnarzt getroffen ;)Interessant, dass dich die Spiritualität zu den Naturwissenschaften gebracht hat. Ein bisschen assoziiere ich damit Rupert Sheldrake. Und ich weiss, dass ich mich beruhigen muss, wenn ich wenigstens einbisschen Philosophie betreiben will, die doch Liebe sein will dem Namen nach! Ich weiß nicht, ob ich Komplexität brauche, ich hätte so gerne mehr intuitive Erkenntnis und mehr Kenntnis über Intuition. So hilflos meine Hundefreunde in der Menschenwelt sind, sie sind dem Menschen zugewandt. Ich nicht! Oder?


Auf Wikipedia steht im Kapitel "Menschen und Bülbüls", dass Bülbüls gelegentlich des Menschen Fruchtschädlinge wären. Ist da was dran? Hat die Wut dich schon mal als Exot in irgendeinen Käfig im Wohnzimmer der Ignoranten gebracht?

(y_soflyyy)

6. Januar 2024

Die Frage mit den Fruchtschädlingen klammere ich mal aus. Sie bringt mich nur auf dumme zynische Bemerkungen. Es gibt eine Gedichtzeile von Beckett: ist es nicht besser abtreiben als unfruchtbar sein? Ich habe den Ausdruck "Fruchtschädling" nie zuvor gehört. Der Wurm wohnt im Apfel, bis ihn die Nachtigall stört. Kennst du den Film "wer die Nachtigall stört"? Es ist nicht schlimm, mich mit meiner Literatur und Philosophie zu ignorieren. Hast du etwas von mir gelesen? Wer will so etwas schon haben? Ich bin von Verrückten umgeben wie der Wurm vom Apfel. Als Fruchtschädling fresse ich mich durch den Wahnsinn mit dem Schreiben. Mit meiner Wut habe ich mir selbst mehr geschadet als anderen. Jetzt bin ich ruhig. Und die Welt sowieso das Wohnzimmer der Ignoranten. Und du? Während ich vom Wahnsinn des Positivismus spreche, erzählst irgendwas vom Werkzeugkasten. Du sollst die Thesis schreiben, nicht sie dich! Ich rede von Positivismus! Verabsolutiert hat er alles eingenommen und behauptet von sich, Wissenschaft zu sein. Und zwar er allein soll Wissenschaft sein. Und die philosophische Untermalung zu diesem Wahnsinn lieferte der Depp aus Königsberg. Der Pinocchio, der Philosoph sein wollte. Ein kritizistisches Klappergestell, dessen Fäden absolutistisch gezogen werden, bis mahnend der Finger sich hebt: Los, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Wenn du das machst, ist es aus mit deiner Thesis! Klapper du lieber mit der Toleranz der Werkzeugkiste. Da kannst du fragen, ob nicht Worte auch Welt simulieren. Nein, sie simulieren, wenn sie neben Ausdruck und Appell auch Semantik als Aussage darstellen, nur eine Beziehung der Vernunft zum Leben, die es nicht gibt! KLINGENDE SCHELLE!

So also hört es sich an oder liest es sich, wenn du mich wütend machst. Aber du machst mir Freude, weil du mit dem Käfig voller Bülbüls im Wohnzimmer der Ignoranten einen süßen Schmerz ausgelöst hast, mit anderen Worten: du hast den Nerv des Bülbül getroffen.

Danke, dass es dich gibt!
 
 
Uri Bülbül
freier Literat und Philosoph
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