Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 
 
31.12.2023


weil du nicht mehr an die Liebe glaubst

31. Dezember 2023

Ich komme über diesen kleinen nebensätzlichen Einwurf nicht hinweg, ohne ihn zu kommentieren. Glauben im Sinne von Religion und Vertrauen stellt die Liebe ins Zentrum. In dem 13. KORINTHER-BRIEF heißt es bei Paulus sogar sehr eindeutig: ohne Liebe ist alles nichts!

Ich möchte es etwas physikalisch ausdrücken: Liebe ist ein besonderer Energiezustand der Vitalität. Eine besonders erwärmte Lebensenergie. Diese ist nötig für ein wachsendes und schützendes Zusammenleben. Da sie sich der rationalen Kontrolle entzieht und diese sogar außer Kraft setzen kann, wird sie poetisch wie religiös beschworen. Poesie und Religion hängen archaisch auch zusammen; ich erinnere da an die Magie der Zauber- und Bannsprüche sowie an tabuisierte Wörter und Namen.

Und nun taucht die Liebe in einem kausalen Nebensatz mit dem Verb "glaubst" auf. Angesprochen eine zweite Person singular. Eine bestimmte unbenannte Person. Neben dem Ich, dem Zentrum der Subjektivität, gibt es eine Person Außerhalb, die sich nicht in den Anziehungskreis des Subjekts ziehen lässt und als Grund wird der mangelnde (religiöse) Glaube angegeben: "weil du nicht mehr an die Liebe glaubst". Das ist keine Sache mehr zwischen einem Ich und seinem Gegenüber "Du". Denn dann müsste der Satz lauten: "weil du nicht mehr an MEINE Liebe glaubst", sondern der Glaube, so die Unterstellung des Ichs, an die Liebe ist dem Gegenüber komplett abhanden gekommen.

Durch das Wirken der tödlichen Kräfte der Bürokratie, des Kapitalismus, der Technokratie, die ich gerne "Elan Mortal" nenne, wird die soziale und ökologische Umwelt kälter, ärmer und eben liebloser. Wenn aber jemand von sich noch sagen kann, dass er seinen Glauben an die Liebe verloren hat, hat er noch eine Glut in sich. Aber ich möchte den obigen Satz nicht verdrehen: da behauptet ein Ich von einem anderen Ich als Du, es habe seinen Glauben an die Liebe verloren. Wahrscheinlich ist das eine subjektive Fehleinschätzung, eines Ichs, dessen Liebe nicht erwidert wird. Ein Missbrauch!
 
 
Uri Bülbül
freier Literat und Philosoph
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