Uri Bülbül | Das Ästhetikum

 
 
 
 

Traktat
Gefördert aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur NRW
 02.02.2022


Neues Leben in alten Strukturen?

Von der ursprünglichen Absicht des Traktats etwas abgewichen entwickeln sich die Gedanken erst einmal weniger praxis- und politikorientiert in den 365 Gedankenstrichen. Die in der unteren Grafik aufgeführten Texte sind wie eine lange, lange aztekische Treppe, die auf ein Plateau hoch ganz in der Nähe des Himmels zu den Gedankenstrichen führen. Aber den Himmel erreicht man nicht, wenn man nicht fliegen kann.

Gewiss werde ich in Kürze auch noch einmal auf das Traktat zurückkommen. Im Grunde ist es egal, was man wo und wie liest. Ein Buch sei wie ein Spiegel, sagt Lichtenberg, wenn ein Affe rein schaue, könne kein Apostel zurückblicken. Aber jeder, der ein Buch in die Hand nimmt, hält sich doch für einen Apostelkritiker und nicht für einen Affen. Ich jedenfalls mag Affen mehr als Apostel und Hunde mag ich mehr als Affen, weil Hunde mehr Intuition und Weisheit haben als Mensch und Affe zusammen.

 Gedanken

Unter diesem Titel habe ich dank einem erhaltenen Stipendium angefangen, meine Essays und Gedanken, die alle in recht umfangreichen Fragmenten existieren, neu zu strukturieren und auf einen Punkt zuzuspitzen. Dieser Punkt wird durch den Arbeitstitel ausgedrückt: «Neues Leben in alten Strukturen?» - ist so etwas möglich? Wie und wodurch verändern sich Strukturen und wie entsteht neues Leben? Wenn ich es mit der Metapher übertreiben wollte, könnte ich hier von der «Genetik der Kultur» sprechen, der Sache förderlich wäre es nicht! Natürlich handelt es sich hierbei um einen kulturphilosophischen Beitrag, der sich mit der Entstehung und den Wandlungen der Kultur beschäftigt, aber so sehr ich die Kultur als eine lebendige Ganzheit verstehen will, muss ich mich doch davor hüten, in einen Biologismus zu verfallen, weil die Evolutionsbiologie selbst kulturgeprägt wie kulturprägend ist und viele größtenteils autoritäre wie faschistoide Ideologismen mit sich schleppt, die das Leben nicht «an sich» betrachten, sondern durch eine ideologische Brille. Der Darwinismus hat als Sozial- und Kulturdarwinismus genügend Flurschaden angerichtet und braucht keine durch unbedachte Metaphern leichtfertig herbeigeführten Verschleppungen ins postmoderne Denken. Kultur als Zucht und Ordnung von Dr. Schreber bis Dr. Sloterdejk müsste ein eigenes Thema werden, was ins momentane Konzept des Schreibprozesses nicht ganz passt.


Das Vorhaben, ein Traktat mit politischen Handlungsempfehlungen aus dem bisher Gedachten und Geschriebenen zu destillieren, hat sich fast als eine Schnapsidee erwiesen. Das von mir so favorisierte rhizomatische Denken und Schreiben erfordert eine größere Ergebnisoffenheit. Natürlich stellt sich dann auch sofort die Frage, ob dann eine solche Schrift, die sich unter dem Titel «Ein Was-auch-immer» einer Kategorisierung entzieht, überhaupt politisch relevant sein kann. Aber genau das erfordert die Ergebnisoffenheit von einem Work in Process: Handlungsrelevanz durch Offenheit! Man begibt sich damit schon fast in eine Hamletsche Paradoxie: auf der einen Seite die geforderte und scheinbar erforderliche Tat, auf der anderen Seite das Zweifeln und Grübeln! Doch dies kann auch eine kreative Ambivalenz bedeuten, aus der eben gerade neue Erkenntnisse geboren werden. Setzt das Leben nicht neben Zielgerichtetheit auf Unvorhersehbares? -auf kontingente Mutationen, die neuen Sinn in der Retrospektive erscheinen lassen?


Mein Entschluss ist, dass ich unter dem Titel 365-Gedankenstriche auf der Internetplattform, auf der ich als «Straßenphilosoph» aktiv bin, die Gedanken und Betrachtungen nach und nach zu publizieren und teilweise auch in neue Texte zu kleiden. Gleich zu Beginn aber stoße ich hierbei auf ein mir schon lange bekanntes Problem neu: immer wieder löscht die Plattform Antworten, die von Suchrobotern ausfindig gemacht mögliche Beleidigungen und Persönlichkeitsrechtsverletzungen beinhalten könnten. Daran geknüpft kann auch praktisch die Zukunft der Kultur in sozialen Netzwerken und Plattformen erörtert werden. Der Aphorismus von Robert Gernhardt
«Dich will ich loben: Hässliches, du hasst so was Verlässliches»
lässt sich auf der Plattform ask.fm nicht thematisieren und diskutieren, weil die Roboter höchstwahrscheinlich auf das Wort «hässliches» anspringen.

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Uri Bülbül
Literat und freier Philosoph
• c/o KulturAkademie-Ruhr • Girardetstraße 8 • 45131 Essen