Der Ofen, der in Lila gehaltene Wohnzimmer, die Tapeten aus den 70er Jahren, die schöne Lage des Hauses in einem
gediegenen Viertel mit sehr netten Nachbarn - all das wird mir fehlen, wenn ich nach fünf Jahren das Haus verlassen muss, weil
mein Vertrag ausläuft, das Haus abgerissen wird und ich mir bis dahin etwas Neues gefunden haben muss. Meine Idee ist ja, wieder
ähnliche Wohnverhältnisse für mich zu finden - eine alte Bruchbude mit einem Kaminofen und einem Garten, in dem ich mit meiner
Benzinkettensäge Holz klein machen kann oder die Axt schwingen. Ich suche die Nostalgie, bin von der Romantik schier besessen
und kann mir keine idealeren Lebens- und Schaffensumstände vorstellen.
Wo soll mich mein vierbeiniger Freund besuchen, wenn ich das auch für ihn ideale Wohnzimmer nicht mehr habe, worin sich
nun ein großes Bett für ihn befindet, was uns mein Nachbar geschenkt hat? Eigentlich wollte ich in diesem Haus alt werden, bis
es zerbricht darin wohnen und vielleicht mal in die Lage kommmen, die eine oder andere Renovierung durchzuführen. Aber ich habe
die Rechnung ohne meinen damaligen Vermieter gemacht, der mir im zweiten Jahr im MagicMysteryHouse am 16. Dezember 2016, als ich
ihn zufällig an der U-Bahnhaltestelle traf, sagte: «Junge, ich kann nicht mehr gehen. Ich kann mich nicht mehr bewegen!»
Ich wollte ihm helfen - er sah aus und roch wie ein Obdachloser, aber er wohnte in der zweiten Doppelhaushälfte Richtung Garten
und ich in der vorderen, schöneren Hälfte Richtung Straße - jeder mit einem seperaten Eingang. «Soll ich dir ein Taxi rufen? Und
dich nach Hause bringen?», fragte ich, aber er lehnte ab, ich könne ihn ins Schlachthaus fahren, er könne nicht mehr. Dann drängte er
mich meines Weges zu gehen. Als ich am Abend nach Hause kam, hörte ich die gewohnte laute Musik aus seiner Hälfte und war
beruhigt. Er hatte es nach Hause geschafft. Für gewöhnlich ging er morgens gegen 07.00 Uhr aus dem Haus und kam nach etwa zwölf
Stunden abends 19.00 Uhr wieder zurück. Am nächsten Morgen aber blieb die Musik den ganzen Tag und so ging es bis Mittwoch, den
21. Dezember 2016, bis zum Tag der Sonnenwende. Ich freute mich auf das länger Werden der Tage, die dunkle Jahreszeit hatte
sein Ende und hatte mit einem Kumpel im Garten in der Kulturlaube ein Feuerchen verabredet. Am Vormittag klingelte es an meiner
Haustür; es war der Postbote, der sich Sorgen um meinen Vermieter machte, weil er seit Tagen die Zeitung nicht mehr
hereinholte. Erst beruhigte ich den Postboten, ich hätte ihn am vergangenen Freitag noch getroffen, er habe Schmerzen in den
Beinen und würde wahrscheinlich sich nicht aufraffen, um vor die Tür zu gehen. Aber ich versprach auch dem besorgten
Postboten, nach ihm zu sehen. Am späten Nachmittag, als ich mich auf den Weg in den Garten machen wollte, ließ es mir
keine Ruhe und ich klingelte und klopfte bei meinem Vermieter an. Er hat ein scheues Wesen und macht normalerweise niemandem
die Tür auf bis auf meine Wenigkeit, der ihm die Miete immer bar in einem Umschlag übergab oder unter der Tür durchschob,
wenn er unterwegs war.
An diesem Tag aber reagierte er nicht, ich rief und klopfte und hörte die Musik, nicht aber meinen
Vermieter, bis die Nachbarin auf mich aufmerksam wurde, die ihn gut und seit Jahrzehnten kannte - ja, sie mache sich auch
Sorgen um ihn, sie habe ihn auch seit Tagen nicht gesehen, für gewöhnlich führen sie morgens im gleichen Bus. Ich fragte sie,
ob sie wisse, wie er sein Haus heize; ich hatte ihm mehrmals von meinem Brennholz angeboten, was im Garten lagerte, aber
er hatte es nie angerührt. Ich hatte ihm auch angeboten, es ihm vor die Tür zu tragen, falls er nicht mehr so schwer
schleppen möge. Er hatte sich bedankt, aber nie davon gebrauch gemacht. Und die Nachbarin rief laut empört auf, als sie
meine Frage und kleine Erzählung hörte: «Ach, der alte Geizkragen! Gar nicht heizt er; er geht morgens aus dem Haus, fährt
mit Bus und Bahn herum, trifft seine Kumpels an irgendwelchen Bahnhöfen und schläft nachts im Kalten!» Das beunruhigte mich
sehr - wir hatten es zwar nicht frostig kalt in jenen Tagen, aber mein unbeheiztes Bad hatte gerade mal 13°C! Ich klopfte an die
Tür, ans Wohnzimmerfenster und rief, wenn er nicht ein Lebenszeichen von sich gebe, riefe ich die Polizei. Und genau so musste
es kommen.
Bald darauf kam ein Streifenwagen; die Beamten ließen sich von mir das Haus zeigen und die Lage erklären, schoben die
Rollade eines Fensters auf, das nie die Rollade oben hatte und einer stieg ins Haus ein und meinte sogar sofort zu seinem
Kollegen: «Ja, typischer Geruch!» Ich fragte ängstlich, ob es Leichengeruch sei, denn ich roch draußen nichts. Sein Kollege
beruhigte mich etwas, indem er meinte, nein, es sei der Geruch eines Messihaushaltes. Und kurz darauf kam der Ruf von innen:
«Er lebt!»
Ich war erleichtert, kam mir aber auch vor wie ein Verräter, der seinen Genossen bei der Polzei verpfiffen
hat, aber der Polizist, der von innen die Tür öffnete, erklärte, es sei höchste Zeit gewesen; es müsse sofort der Krankenwagen
gerufen werden. Noch ein, zwei Tage und der Mann wäre im Haus verstorben.
Als er im Rollstuhl in den Krankenwagen
geschoben wurde, beruhigte mich mein Vermieter, er käme in zwei, drei Tagen wieder und ich solle schön auf das Haus
aufpassen und die Rollade wieder schließen. Einer der Beamten, der das hörte, flüsterte mir unauffällig zu: «Er kommt nicht
mehr wieder in dieses Haus» und fragte mich dann: «Sieht es bei ihnen auch so ähnlich aus?» Ich verneinte, meine Haushälfte sei gut
bewohnbar und ob er einen Blick rein werfen wolle. Nein, nein, das dürfe er nicht, war die Antwort.
Mein zynischer
Nachbar vom Nebenhaus rechts, raunte mir nur zu: «Tja Uri, das war's wohl mit dem Wohnen hier im Haus!» Ich fand die Bemerkung
mehr als unpassend, schließlich ging es nicht um mein schönes Wohnen, sondern um das Leben meines Vermieters, der erst ins
Krankenhaus und dann in ein Pflegeheim kam. So wechselte etwa ein Jahr später das Haus seinen Besitzer und ich bekam
einen befristeten Mietvertrag, der Ende diesen Jahres ausläuft. Dann muss das Haus bald darauf abgerissen werden; seine
Bewohnbarkeit ist nicht mehr herzustellen. Die eine Hälfte ist fast ganz verfallen und meine Hälfte allein kann auch nicht
erhalten werden. Eine schöne Ära in meinem Leben wird so zu Ende gehen.