KulturAkademie-Ruhr/Katakomben-Theater im Girardet Haus • 45131 Essen

IdeenArbeitenProjekteTexte

Projekte

Es gab nicht wenige Menschen, die mir ein Verzetteln in meinen Ideen und Vorhaben prophezeiten. Wahrscheinlich gehörte keine große hellseherische Kunst dazu, dies zu erahnen. Aber was heißt schon "verzetteln"? Wer bin ich und wohin will ich? Wenn ich meinen Blick zurück richte auf mein bisheriges Leben, sehe ich keine Stellwerke, an denen ich hätte eine andere Weichenstellung vornehmen wollen. Wahrscheinlich ist genau das der Kasus knacktus: wenn ich es wirklich gewollt hätte, hätte ich es doch tun können, nicht wahr?

Von dem Wunsch beseelt, womöglich gar besessen, schreibend und philosophierend durchs Leben zu gehen, habe ich in der Tat bis nun zu meinem 50. Lebensjahr nichts anderes getan. Die eine oder andere bürgerliche Haltestelle habe ich dabei in der Tat verpasst. Aber nicht zuletzt deshalb, weil ich nicht aussteigen wollte aus meinem Lebenstraumzug. Während mich nun die Jahre immer mehr ins immer Weniger verrasseln, um es mal mit Wolf Biermann auszudrücken, den ich für einen genialen Lyriker halte, gilt es nicht nur Bilanz zu ziehen, sondern für einen waghalsigen Endspurt die Vorbereitungen zu treffen, bevor das unausweichliche Schicksal mich trifft. Das 50. Jahr ist ein Jahr des memento mori, ein gutes Jahr, solange die Kräfte in mir wohnen, die mich noch vorantreiben können. Schließlich möchte ich noch einiges schaffen, bevor ich den Löffel abgebe, auch wenn es um die große existenzialistische Frage nach dem Sinn äußerst schlecht bestellt ist :-( Aber um den Flügelschlag des Schmetterlings aus der Chaostheorie möchte ich mich nun nicht bringen durch irgendwelche Zweifel, so berechtigt sie auch sein mögen.

Also gibt es einen Überblick über die intendierten, angefangenen und bis zu einem gewissen Reifegrad vorangetriebenen Projekte in meinem Leben. Sie waren immer das Ergebnis eines Zusammenwirkens mit anderen Menschen, weshalb ich mit großer Sicherheit und Vehemenz behaupten will, dass das Schaffen und Erschaffen des Menschen immer ein sozialer Akt ist und wir den Charakter des Subjekts ganz wesentlich verkennen, wenn wir es in seiner Kreativität als eine solipsistische Entität denken. Das große Stichwort ist hierbei wohl das schöpferische Individuum, das durch den deutschen Bildungsidealismus gymnasialer Schulung in die Irre geleitet ich den Fehler machte, von seiner Vereinzelung aus zu denken.

Nichts aber, was in mir entstanden ist, ist in meiner solipsistischen Einsamkeit entstanden. Verwoben war ich mit dem Bildungskanon, mit den unzähligen Autoren, die mir Worte und Ideen einhauchten, Irrtümer und Einsichten, verwoben war ich mit den Menschen, die mich umgaben und mit mir oder gegen mich diskutierten, etliche Einwürfe, Einwände, Vorwürfe oder Vorschläge machten. Mit Menschen, die ihren Teil zu den Projekten beitrugen, sei es graphisch, technisch oder rein ideell. Kurz: niemals war ich ein einsames, vor sich hin, aus sich herausschöpfendes Individuum. Vielmehr befand ich mich immer in einem kommunikativen Vielerlei von Beziehungen, ganz gleich, ob sie freundschaftlich oder feindselig gemeint waren, ganz gleich, ob sie zur Unterstützung oder als Konkurrenz gedacht waren - sie alle prägten meine Arbeit, mein Denken, meine Ideen, mein Handeln. Und alles andere wäre auch völlig unfruchtbar gewesen.

Natürlich gibt es auch mich als Individuum, als eines, das der Stille bedarf, der äußeren Ruhe, als eines, das in sich hineinhorchen muss und sich konzentrieren. Als eines, das sich an die anderen erinnert oder das widerwillen erinnert wird. Dieses Netz der Diskurse, der Stimmen und Erlebnisse ist die Emanationsquelle all der Projekte, die mich umgetrieben haben.

Schon mit dem Schreibhaus wandte ich mich gegen die Vorstellung eines einsamen Autorengenies. Die Welt des Creative Writing hingegen reduzierte den Diskurs auf vermittelbare Techniken und erstickte Literarizität in einem oberflächlichen Betrieb blöder Effekthascherei. Nun ist die Szene voll von Kreativgurus und BOD-generierten Textverfassern, die sich für Autoren halten. Auf der Strecke geblieben ist dabei eine literarisch-ästhetische Bildung zugunsten einer kritikimmunen Schriftstellerei der unteren Mittelklasse. Der konservative Literaturbetrieb, der auf das romantische, in seiner Einsamkeit aus sich heraus schöpfende Autorengenie setzt und Kreativität weder für diskutierbar, noch erlernbar oder vermittelbar hält, hat nur ein Naserümpfen für das andere Feld übrig. Sonderlich kommunikativ und dem literarischen Diskurs förderlich ist diese Haltung nicht. Neue Medien und Methoden werden ebeso von oben herab ignoriert wie ehrlich gemeinte Kriteriensuche. Das etablierte Verlagswesen schottet sich ab, schreibt Standardbriefe zur Ablehnung eingereichter Manuskripte und verweigert jedes Gespräch, jede Auseinandersetzung mit Autoren, die um Aufnahme ins Verlagsprogramm ersuchen.

Der Deutschunterricht der Schulen ist gelinde gesagt verkalkt; ein seit Jahrzehnten veralteter Lehrkanon hat mit der Entwicklung des Mediums Literatur im 21. Jahrhundert gar nichts zu tun. Ebenso vermag die Literaturwissenschaft schon längst nicht mehr den Kriteriendiskurs zu führen, was Literatur im Allgemeinen und gute Literatur im Besonderen ausmachen könnte. Wichtig ist nicht, dass man normativ und ein für allemal Urteile fällt. Das wäre ganz im Gegenteil völlig falsch. Aber sich eines jeden Urteils zu enthalten und sich in eine pseudowissenschaftlich beredte Schweigsamkeit über Literatur zurückzuziehen, kann auf gar keinen Fall eine akzeptable Lösung sein. Ebenso wenig wie ein pseudowissendes arrogantes Naserümpfen. Gerne hätte ich im Schreibhaus einen Ort geschaffen, in dem all diese komplexen Fragen aufgegriffen und diskutiert werden können. Bisher hat das Schreibhaus ein solches Niveau nicht annähernd erreicht. Was schief gelaufen und ob noch etwas zu retten ist, werde ich mit einigen Menschen zu diskutieren versuchen.

Wichtiger aber ist die Tatsache, dass es einen neuen Ort gibt, an dem solche Fragen der Literatur und literarischen Kreativität auf einer ganz anderen und höheren Ebene diskutiert werden könnten: Die KulturAkademie-Ruhr des Katakomben-Theaters, die für eine Kulturphilosophie des empathischen Sensualismus steht und Kunstschaffen im Allgemeinen aus den Fängen des Rationalismus befreien möchte und könnte. Während das Schreibhaus in einem anderen personellen Kontext stand, der auch schon zerbröckelt ist, bietet die KulturAkademie-Ruhr ganz neue Vernetzungen. Eine Chance, die nur bei sorgfältiger Arbeit und mit großer Konzentration genutzt werden könnte. Dabei aber wäre die KulturLaube ein schöner, sehr lebendiger Ort - eben der Grüne Zweig der KulturAkademie-Ruhr des Katakomben-Theaters in Essen. Ideen und Vernetzungen können in einer Metropole nicht an Stadtgrenzen Halt machen.

Aus dem Schreibhaus positiv erwachsen ist jedenfalls das Textzentrum im Girardet Haus. Seine Entstehung geht auf die Kooperation mit dem Katakomben-Theater im Jahr 2005 zurück. In der Sommerpause des Theaters begaben sich Schreibhaus-Autoren zu «Literatur.geortet zum Schreiben in die Welt hinaus» in das Theater und es entstand das Buch «Literatur.geortet Feuer im Foyer.» Literatur.geortet zum Schreiben in die Welt hinaus war die Idee meiner Weggefährtin und Mitstreiterin Karin Kress, wie einst die Maler mit ihrer Staffelei in die Welt hinauszogen und in der freien Natur malten und sich inspirieren ließen, so wollte Karin mit der Literatur verfahren. Durch die Kooperation mit meinem Freund Kazım Çalışgan, der frisch die Leitung des Theaters im Girardet Haus übernommen hatte, zogen wir nicht nur in die Welt hinaus, wie zum Beispiel in den Botanischen Garten der Ruhr-Universität Bochum, sondern auch in das Katakomben-Theater. Karin Kress sah darin ihre Idee ein wenig instrumentalisiert. Das Theater aber entfachte in jedem von uns Mitwirkenden ein Feuer. Und später wollten wir diese Zusammenarbeit fortsetzen und verfestigen, weshalb wir das Textzentrum gründeten. Karin Kress ging andere Wege. Während das Girardet Haus einen einmaligen Raum für Literatur schuf, was seitdem mir als Heimatort meiner Arbeit und für zahlreiche Treffen und Veranstaltungen diente und noch dient.

Zwischen 2007 und 2012 waren auch die Unterlagen des Bundesverbandes Studentische Kulturarbeit e.V. hier archiviert und standen zur Einsicht bereit. Sommer 2012 sind sie allerdings ins Lager gewandert, weil sich eine sinnvolle Archivarbeit nicht entwickelte. Endgültig abgeschlossen ist dieses Thema aber auch noch nicht. Offiziell bin ich noch im Vorstand dieses Verbandes, der eine lange Tradition hat und sehr interessante und aktive Phasen durchlebte, nun aber kurz vor dem Verfall steht, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Er erinnert mich an denkmalgeschützte Häuser, die vor sich hin verrotten, weil kein Sanierungskonzept so recht greifen mag. Einen Versuch aber möchte ich noch unternehmen, indem ich die denkmalgeschützten Ideen und historischen Aktivitäten des BSK e.V. mit der neugegründeten KulturAkademie-Ruhr kurzschließe. Archiv trifft Kreativität könnte das Motto dieser Verlinkung werden. Noch im vergangenen Jahr gab es eine größere Scanaktion zur elektronischen Erfassung der Dokumente des Bundesverbandes im Textzentrum. Die Arbeit beruht auf Ehrenamt und ist auf die Mitwirkung von Freiwilligen angewiesen, weshalb sie immer wieder ins Stocken gerät. Ein Online-Archiv war bereits angelegt und wird dieses Jahr wieder aktiviert und fortgeführt. Dafür ist die Domain www.kulturarchiv-ruhr.de vorgesehen und reserviert.

Ende 2010 habe ich die Philosophie des Katakomben-Theaters im Textzentrum zum ersten Mal verschriftlicht. Sie diente auch zur Grundlage des Konzeptes der KulturAkademie-Ruhr, die am 10. Oktober 2011 feierlich ins Leben gerufen wurde, wobei Oliver Scheytt das Konzept kritisch begleitete und bei der Eröffnung Pate stand. Nun nach über einem Jahr müssen weitere Entwicklungsschritte folgen.

Die erhofften und beantragten Mittel haben wir von der Landesregierung nicht erhalten. Statt Kulturschaffende direkt zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihre eigenen Institutionen am Leben zu erhalten, setzt die Kraft-Regierung in NRW auf die klassische Zweiteilung zwischen Institution, Verwaltung auf der einen und darin abhängig beschäftigten Künstlerinnen und Künstlern auf der anderen Seite. Darin reproduziert sich politische Borniertheit einfach selbst; mittlerweile hat es sich ja in der Berliner Republik insgesamt etabliert, dass Politiker zu einer Berufsgruppe, wenn nicht gar zu einer Kaste geworden sind, die damit beauftragt ist, den Rest der Gesellschaft zu verwalten sprich zu regieren. Selbst die Opposition ist ein Teil des politischen Geschäftes und damit der Regierung.

Parteiprogramme enthalten keine ernst zu nehmenden aber auch nicht ernst gemeinten Alternativkonzepte und Ideale für die Gesellschaft, sondern nur im Kleinen divergierende Verwaltungsakte. In dieser allgemeinen Phantasie- und Utopielosigkeit, in der man sich ernsthaft fragen darf, was der wesentliche Unterschied zwischen Mama Angela Merkel und Mutti Hannelore Kraft sein soll, wird der Kultur dieser Gesellschaft entgegen allen Beteuerungen und Lippenbekenntnissen, keine Aufmerksamkeit geschenkt, außer wenn es darum geht, Finanzmittel zu kürzen und Einsparungen vorzunehmen. Ansonsten werden einfach stur die klassischen Stereotype fortgesetzt: Kultur sei wichtig, Bildung ebenfalls. Aber die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, werden kurz gehalten, ungenügend gefördert; eine Vernetzungs- und Infrastrukturbildende Kultur gibt es nicht. Es wird individualisiert, Konkurrenzkampf geschaffen; es werden Einrichtungen geschlossen oder mit Schließung bedroht.

Da entdeckt die Freie Kulturszene in ihrer Not einen in Phrasen als wichtig erachteten Bereich, der in Tat und Wahrheit aber völlig mißbraucht wird: Interkulturalität, kulturelle Vielfalt und «interkulturelle Kompetenz». Kunst und Kultur sollen eine Feuerwehrfunktion für soziale und wirtschaftliche Probleme übernehmen, abfedern helfen und eine Pufferzone des sozialen Friedens erhalten oder schaffen, wo einiges in die Schieflage geraten ist.

Oder es sollen zum Zwecke der «Kulturellen Bildung» Künstler, Musiker und Literaten in die Schulen (am besten in sozialen Brennpunkten), obwohl Schulen konzeptionell überhaupt nicht der Ort der Muse sind. Zu wirklichen Reformen fehlt der politische Wille; man könnte alle Bemühungen unter dem Kapitel «Hilflose Akte» näher, detaillierter beschreiben, wenn es denn nur irgendwo einen Hoffnungsschimmer gäbe, jemand könnte es hören, lesen und aufgreifen oder zumindest (das wäre eigentlich einer funktionierenden Demokratie äußerst würdig) in die Diskussion bringen. Eigentlich hätte die Bundesrepublik noch Strukturen, die sie als Bildungs- und Kulturrepublik qualifizieren könnten. Aber auch in diese Richtung wird nur dann ernsthaft und genau hingeschaut, wenn man ein Etat zum Kürzen sucht.

Peer Steinbrücks Zug, Oliver Scheytt im Schattenkabinett zum Experten für Kultur und Anwärter auf ein entsprechendes Ministerium zu machen, war so ungeschickt nicht. Auch wenn die Kulturhoheit bei den Bundesländern liegt, könnte man ein neues Klima des Kulturdiskurses schaffen und nicht einfach nur über Erhalt oder Kürzung diskutieren, sondern auch darüber nachdenken, was neu geschaffen und strukturiert werden sollte und könnte. Aber das Problem mit der Sozialdemokratie ist nicht, dass sie Hoffnung auf gute Ideen und Entwicklungen weckt, sondern diese immer wieder enttäuscht: Man hofft auf Oliver Scheytt als Kulturmenschen und gerät warum auch immer und nicht einmal durch das Verschulden von Oliver Scheytt in eine der größten kulturellen Kahlschlagsepochen der bundesdeutschen Geschichte. Die Reformära eines Willy Brandt muss sich keineswegs wiederholen. Statt dessen könnten die Reststrukturen der Bildungs- und Kulturrepublik auch in einer Amerikanisierungseuphorie völlig zerschlagen werden.

Es besteht kein Grund zum Optimismus und keiner zum größeren Pessimismus als zu dem, den uns die Realität ohnehin schon beschert. Es bleibt also abzuwarten, was geschieht.

Allein die Zusammensetzung der Ressorts in dem Landesministerium NRW, dem auch Kultur subsummiert ist, zeigt, wie wenig Wertschätzung die Regierung in NRW dem Bereich Kultur entgegenbringt. Auch wenn der Philosophieprofessor und Kulturataatssekretär im Schröderkabinett Julian Nida-Rümelin in seinen Vorträgen auf das Humboldtsche Bildungsideal verweist, kann so schnell nicht vergessen werden, dass in NRW es die SPD in den 80er Jahren war, die massiv die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften unter Rechtfertigungszwang der Stellen und die Freiheit der Lehre in Frage stellte und einen gigantischen Einsparungsdruck erzeugte.

Um nun auf unseren konkreten Fall zu kommen, jetzt zu erwarten, dass die Regierung eine von Ausländern betriebene «Kulturakademie» und ein Theater wie das Katakomben-Theater institutionell fördert und einem deutsch schreibenden Türken die Konzeption überlässt, hat etwas von einer an Debilität grenzenden Naivität. Dass ein mit 8 1/2 Jahren nach Deutschland eingewanderter Türke besser Deutsch spricht und schreibt als manch einer in Politik und Ministerialbürokratie, schreit schon nach Kamel und Nadelöhr - erst recht, wenn er nicht mehr brav seine ethnische Herkunft thematisiert, wie seine braven Landsleute, sondern nach deutscher Sprache und Kultur greift, als wäre es sein Eigentum.

Und da die Regierenden leider oft das Gefühl haben, mit Fördermitteln belohnen und bestrafen zu dürfen, brauche ich mich auch nicht weiter zu wundern, wenn ich nach meinen «aufrührerischen» Schriften keinen Cent mehr an Projektmitteln bekomme.

Aber wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren, lautet eine Devise, der man sich auch anschließen könnte.

Essen, 05. September 2013