Heute habe ich einen Teil meiner ZERFAHRENHEIT auf den Druckweg gebracht.
Eine meiner ersten ZERFAHRENHEITsfiguren, aber nicht die erste, war Niklas Hardenberg. Und tatsächlich
entsprang er einem Hörspielworkshop und reihte sich allmählich in meine literarische Welt ein.
Ein etwas brummiger, zynischer Mittvierziger, der mit Frauen ebenso wenig Glück hatte wie auf
der Karriereleiter, die er nie so richtig betrat. Im Labyrinth-Roman
spielt er einen zwielichtigen Investigator, vor dem die Hauptfigur und der Ich-Erzähler Lemming
immer wieder gewarnt wird, der sich aber doch um seine Nähe und Hilfe bemüht. In der Novelle
Brachland spitzt sich die Nähe und die Annäherung
dieser beiden Charaktere: Lemming und Niklas Hardenberg schier bedrohlich zu. Und immer
schweben die Ereignisse aus dem «Auftrag»
zwischen den beiden durch die Atmosphäre. Daher ist es nur naheliegend, den ersten
Band der Zerfahrenheit mit dem «Auftrag» zu beginnen.
Es könnte eine Jugendsünde oder eine Jugendgeschichte von Niklas Hardenberg sein; er ist am Ende
seines Studiums und seiner Beziehung; die junge Ehe geschieden oder zumindest getrennt; die
Eheleute und der Freundeskreis bestehend aus einigen Politaktivisten wohnen aber noch im
selben Haus. Niklas Hardenberg versucht sich mehr oder weniger erfolgreich als Schriftsteller
und kann all die gutgemeinten Kommentare und Hilfestellungen, die ihn belasten, nicht einfach
abschütteln. Er kommt nicht so recht mit seiner Arbeit voran, und da erreicht ihn ein Anruf.
Ein «unrealistisches Verschwörungs-stück» wurde der «Auftrag» von einem Rundfunkredakteur
bezeichnet. Wieviel Verschwörung es in unserer Realität geben kann, muss ich offen lassen.
Die Intention dieses Spiels mit Stimmen aber zielte am allerwenigsten auf Realismus.
Eigentlich kann man den «Auftrag» kaum als ein Kriminalstück lesen; aber es macht auch
keinen großen Sinn, Lesehilfen dem Publikum an die Hand zu geben. Das verengt die Diskussion
und lässt das Wunder der rezeptiven Schöpfung schrumpfen. So aber kann auch ich noch durch
Rückmeldungen, auf die
ich wirklich sehr hoffe, überrascht werden.
Wer mich ein bißchen kennt, wird sich fragen: woher der Sinneswandel? War Uri nicht ein
strikter Gegner des BoD? Schlechtes Lektorat? Jeder kann veröffentlichen, was er will?
Vor etwa zehn Jahren, als BoD begann, wollte auch ich als Kleinverleger und dann als Vereinsliterat
im Schreibhaus die eigene Buchproduktion realisieren. Nach zehn Jahren aber kann ich nur sagen,
nach einem Besuch bei der Frankfurter Buchmesse am Stand des BoD: man kann sich mit dem Festhalten
an einer einmal gefassten Meinung vor den fahrenden Zug werfen, oder seine Meinung revidierend
auf den Zug aufspringen. Ich habe mich für die letzte Variante entschieden, zumal ich überhaupt keinen
Glauben und kein Vertrauen mehr in die allmählich pleite gehende renommierte Verlagslandschaft
habe. Eine Pseudogeschäftstüchtigkeit und das Heilsversprechen des Bestsellers und der Prominenz,
wenn "Du als Autor nur gut genug bist" ist so ein Quatsch wie der Glaube, dass man an seiner
Arbeitslosigkeit selbst schuld sei.
Nein, der Betrieb lässt nur wenige zu, die man
dann kommerzträchtig ausschlachtet. Es hat nichts mit literarischer Qualität und nichts mit
ordentlichem Lektorat und nichts mit dem Olymp der Schriftstellerei zu tun, in den nur die
besten Einlass haben. Es ist ein zynisches Spiel antidemokratischster Art mit dem Kulturgut
"geschriebene Sprache".
Der Diskurs über die literarische Qualität findet nicht wirklich statt. Die Kriterien stehen
weder zur Diskussion noch zur Disposition. Sie sind vielmehr quasireligiös verschleiert. Die
einen Wenigen haben das Verkündigungsrecht, die anderen nicht. Die einen dürfen bewundert werden,
die anderen sind diejenigen, die im Dunkeln bleiben und ungesehen. Noch hat sich kein
demokratischer Kulturdiskurs entwickelt und den Genieblödsinn auf der einen
Seite und den Kommerz auf der anderen abgelöst, aber wenn das einmal
geschehen sollte, dann auch durch den Beitrag, dass alle veröffentlichen dürfen, die ein
Buch, wie auch immer, zusammengezimmert haben. Das ist eine wahrhafte Demokratie, das ist
libertär und in der Tat auch eine Herausforderung an das kritische Bewusstsein. Meine
Frage ist: wie und wo wird sich dieses Bewusstsein bilden können? Im Deutschunterricht?
Im Feuilleton? Im Internet? Wie und wo auch immer - das muss sich erweisen; wie auch die
Qualität der Druckprodukte allgemein und meines literarischen Projektes im Besonderen.
Da ich ohnehin nichts davon halte, geistige Güter als Ware und Besitz zu betrachten,
findet sich mein Text, der nun in Buchform zu erwerben ist, auch zum kostenlosen Lesen im
Internet, wer es aber als bibliophiles Geschenk oder auf seinem E-Book-Reader haben
möchte, muss natürlich für diese Dienstleistung bezahlen. So gesehen, hat kein Sinneswandel
bei Uri stattgefunden.