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ÄSTHETIKUM

Verlinkte Fragmente • Marginalien

Januar 2005 erstellte ich einen Flyer quasi als Visitenkarte, um meine Arbeiten und insbesondere meine Arbeitsweise vorstellbar und transparent zu machen. Denn, wenn mir Menschen begegnen, die wissen, dass ich schreibe, werde ich selbstverständlich gefragt, was ich denn schriebe und wo es nachzulesen sei. Um einen Überblick zu bekommen, müsste es eigentlich genügen, sich diese Seiten genauer anzusehen und sich die Zeit zum Lesen zu nehmen.

In diesem Flyer versuchte ich das ÄSTHETIKUM als das Gegenteil von einem Anästhetikum zu beschreiben. Mittlerweile bin ich mir nicht gar so sicher, ob der Anspruch nicht zu hoch gegriffen war oder sogar zum gewählten Medium im Widerspruch steht. Eine Philosophie der Sensibilität und des Sensualismus? Ist das nicht eine contradictio in adjecto? Ist Philosophie nicht per se rationalistisch? Philosophisch betrachtet lohnt es sich dieser Frage nachzugehen, allerdings scheitert das Erreichen eines solchen Zieles, selbst wenn es philosophisch erreichbar wäre, an meinen eigenen Kräften. Wenn ich sehe, dass ich in sieben Jahren nur einen Flyer zu diesem Thema zustande bekommen habe, brauche ich den philosophischen Lösungsweg gar nicht erst einschlagen. Ich werde gewiss keine 170 Jahre alt, um der Sache in diesem Arbeitstempo auf den Grund zu gehen. Und vielleicht gelingt mir ein Schritt in diese Richtung in meiner derzeitigen kulturphilosophischen Schrift «Bedingung und Möglichkeit. Gespräche über Kulturalität».

Was im bevorstehenden Vorabend meines Lebens tatsächlich noch leistbar bleibt, ist die konsequente und einwenig intensivierte Fortführung meiner Arbeit an der ZERFAHRENHEIT. Die Fortführung der Romane in den einzelnen Zyklen ist schon Aufgabe genug. Aber sie kann auch beschleunigt bewältigt werden, weil sich einiges an Fragmenten wie von selbst zu neuen Gebilden formiert.

Man kann über die Rhizom-Philosophie lächeln und sie für eine Marotte halten, was aber längst schon vor sich gegangen ist, ist ein radikaler produktionsästhetischer und technischer Wandel, der nun in Kombination mit klassisch germanistischer und philosophischer Schulung neue Früchte tragen kann. Ich denke da an die Möglichkeiten kollaborativen Schreibens in vernetzten Projekten. Wenn dann noch eine künstlerische Sensibilität ins Spiel kommt, ist die Mischung für eine neue Literaturgattung und Literaturepoche perfekt. Und dann muss auch etwas Juristisches rechtsphilosophisch neu diskutiert werden: die Urheberrechte.

Wer in einem Team an einem Text arbeitet, wird kaum für seine ganz individuelle Arbeit Urheberrechte beanspruchen können; denn der Nachweis, wer welchen Satz formuliert und wer ihn dann wieder umformuliert hat, wird unmöglich, obwohl es technisch möglich ist, die einzelnen Akteure am Text jeweils zu einem Zeitpunkt zu verorten. Es ist auch möglich, die Akteure und ihre Aktionen zu protokollieren; doch wer will diese Protokolle lesen und daraus Urheberrechte ableiten? Man bekommt obendrein in der Teamarbeit so viele Ideen, die man nicht bekommen hätte, wenn man nur auf den Kuss der Musen gewartet hätte. Diese neue Literaturepoche muss sich radikal von Ideen und Idealen der Romantik und des Bürgertums verabschieden. Nicht das Individuum, nicht seine Genialität und seine daraus abgeleiteten Besitz- und Vergütungsansprüche prägen die Arbeit, sondern das Kollektiv der an einem Text wirkenden Akteure.

Das bringt die Rhizomatik der kollaborativen Arbeit mit sich. Man kann daraus immer auch Texte für sich extrahieren. Das ist die individuelle Bereicherung, die den Einzelpersonen zuteil wird, neben den materiellen Einnahmen des Kollektivs, die im Normalfall durch die Anzahl der Mitglieder geteilt werden müssten.

Rendezvous der Sinne mit der Sinnlichkeit

Dieses Tête-à-tête begann mit Abschied bei Nacht und wurde mit dem Ästhetikum fortgesetzt, worin ich ebenfalls Text und Bild zu synthetisieren versuchte. Aber wie klassisch und anfängerhaft diese Arbeiten sind, ist offensichtlich. Es ist der Versuch, das nahe zu bringen, was ohnehin schon sehr nahe beieinander liegt: Poesie und Bild. Da sind keine animierten Grafiken, keine Tonebene mit Musik, akustischen Effekten oder menschlichen Stimmen. Meine Hörspielexperimente und Texte liegen lange zurück und wurden in meine digitalen Arbeiten nur insofern eingebunden, als ich sie irgendwann von Audiokassette auf Festplatte überspielte und die Dateien in MP3 verwandelte. Ich habe keine digitalen Kunstwerke auf audiovisueller und Textebene produziert. Dabei wird es wohl vorerst auch bleiben. Allerdings entdeckte ich vor einem Jahr ein sehr klassisches und altes Medium für mich und verband es mit meinem Fragmentarismus: die Bühne für postdramatische Aufführungen. Natürlich ist das Postdrama alles andere als meine Erfindung, aber es ist mein Bühnenmedium!


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