07. Dezember 2012
Eine antirationalistische Reifefrage?

Als Salomé gestern früh, ein wenig zu spät schon und in Eile, aber mit der ihr eigenen Ruhe, ihre Schuhe anziehen wollte, vermisste sie einen Stiefel. Ich war schon start klar und wartete auf sie, in gebührendem Abstand in der Küche, von wo aus ich in den Flur sehen konnte, um ihr nicht auf die Nerven zu gehen mit Gedränge. Schließlich hatte sie die Uhr ebenso im Sinn wie ich und musste nicht durch mich stumm aber aufdringlich zur Eile angetrieben werden. Aber der eine Stiefel war nicht da. Ich trat doch in den Flur, um ihr bei der Suche zu helfen. «Muss ich nun mit nur einem Schuh zur Schule?» klagte sie. Im Schuhregal war wirklich nichts zu sehen. «Hast du den Schuh vielleicht in deinem Zimmer?» fragte ich. Nein, das wurde vehement abgestritten. Das wäre ihr sicher aufgefallen. Und im Unterton die klare Botschaft, dass sie ihr Chaos beherrscht. «Dann vielleicht vor der Tür?» «Was soll mein Schuh vor der Tür?» Auch ich hatte darauf keine Antwort, machte aber die Wohnungstür trotzdem auf. Wir mussten beide lachen :-) So weit kann Nikolaus entfernt sein.

Später begab ich mich ins Gartenhaus. Es war ein kalter Herbsttag, der erste kalte. Aber es war auch überwiegend sonnig. Vorgestern war es deutlich wärmer und für mich eine große Motivation, Gemeinschaftsarbeit für den Verein zu übernehmen. Die Pflichtstunden sind zwar abgearbeitet, aber die große Wiese schon wieder stark Laub bedeckt. In zweieinhalb Stunden karrte ich an die zehn Schubkarren voll Laub weg, was ich zusammenfegte. Und gestern lag schon ein Hauch von Schnee auf der Wiese. Aber schon als ich mit dem Rächen hantierte, den warmen Modergeruch in die Nase bekam und schwitzte, fragte ich mich, warum es so lange gedauert hatte, bis ich wieder ein Verhältnis zur Natur fand. Am Nachmittag des Lebens eine innige Wendung zu dem, was wir gemeinhin Natur nennen: Wiesen, Bäume, Laub, Erde. Aber eigentlich ist das Kultur, denn mitten in der Großstadt eine Kleingartenanlage mit einem öffentlichen Weg und einer öffentlichen Wiese lässt sich schwerlich als Natur bezeichnen. Längst ist vielleicht der Gegensatz zwischen Natur und Kultur hinfällig, und es muss allen Ernstes überlegt werden, wie wir unser Verständnis von Welt überdenken.

Fortsetzung...

Autorenhoffnungen

Anfang dieser Woche verließ ein dicker Umschlag das Büro und nahm seinen Weg nach Frankfurt. Darin enthalten zwei Teile der ZERFAHRENHEIT.

Bereits am 19. November 2012 konnte ich im Arbeitstagebuch Folgendes festhalten:

Brachland ist zu Ende lektoriert :-) Mich interessiert ein Schreiben als Gratwanderung zwischen Fiktion und Wahrheitsbehauptung, zwischen Philosophie und Literatur, die Mischung aus Reflektion und Leben, und zum Leben gehört auch die Politik - nicht als Ideologie, sondern lebendige Wirklichkeit. Zur Literatur gehört die Intertextualität und zur Philosophie eine skeptisch-analytische Phänomenologie. Die sprachlich-ästhetische Realisierung dessen, hoffe ich in meinem Hypertextroman ZERFAHRENHEIT zu finden, dessen Teile die Novelle BRACHLAND und das Hörspiel DER AUFTRAG darstellen.

Nun beginnt wieder die Zeit des Wartens und Hoffens. Natürlich müsste ich längst schon eines besseren belehrt worden sein und den Gedanken aufgeben, mit einem Verlag ins Geschäft kommen zu müssen. Und ich meine, wenn ich das schreibe, mit einem seriösen, guten, etablierten Verlag und nicht etwa mit einem Bezahlverlag oder mit einem wie ethnotopia, der mich als seinen Autor führt, obwohl ich darum gebeten hatte, dort von der Liste genommen zu werden. Ich bin kein Ghetto-Autor, schreibe nicht über und schon gar nicht wegen meines «Migrationshintergrundes» und ich würde niemals bei einem Literaturfestival mitmachen, das sich «LiteraTürk» nennt und alle deutschsprachigen Autoren, die ausländische Eltern haben, diskriminiert. Aber das muss jeder selbst für sich entscheiden. Und gerne hätte ich es auch für mich entschieden, nicht bei ethnotopia aufgeführt zu werden, da ich nach der ersten kleinen Publikation von mir über unser postdramatisches Theater sah, dass eine weitere hoffnungsfrohe Zusammenarbeit mit diesem Verlag mir unmöglich ist.

Der eigentliche Autorenwahnsinn besteht aber darin, dass man zu hoffen beginnt, kaum dass man die Versandtasche zugeklebt hat. Und dieser Wahnsinn weckt nicht nur Hoffnungen in einem, sondern verstellt auch häufig den Blick für die wahre Qualität des Manuskriptes. Möge ich doch wenigstens von dem letzten Fehler verschont bleiben.

Ich vermisse schon lange einen weitergeführten Diskurs über ästhetische, literarische Ansprüche, über Qualität, aber auch über die Fragwürdigkeit der Maßstäbe. Das Schreibhaus hat es eine ganze Weile versucht. Ende der 90er gab es eine kurze und intensive Phase des Diskussionen. Letztendlich aber wollte außer mir sich niemand in meinem Verein professionell und mit dem nötigen germanistischen Handwerkszeug ausgestattet mit Literaturkritik, literarischer Kreativität und ihrer Vermittelbarkeit auseinandersetzen. Nichtsdestotrotz gibt es eine lebendige Szene kreativen Schreibens. Das literarische Niveau aber ist unter aller Sau. Die Bestsellerlegende «Harry Potter» hat alle Hirne verzaubert und eine analytische Diskussion außer Kraft gesetzt. Dafür aber kulturindustrielle Wertmaßstäbe als Qualitätskriterien zementiert. Verkaufszahlen, Lizenzrechte, Verfilmungen.

Während ich unter der Last meiner eigenen Ansprüche an meine Arbeit ächze und diese gegen die allgemeinen Widrigkeiten des Alltags und des Kulturbetriebs zu behaupten und reorganisieren suche, wobei auch immer Reformen im eigentlichen Wortsinne fällig werden, geht das muntere Sch... bzw. Treiben natürlich weiter. Auch das gehört zu meinem Autorenwahnsinn, dass ich mich in diesem Geschehen zu platzieren und positionieren und, als wäre das nicht schon genug, es auch zu beeinflussen suche. Dazu habe ich bei der Ideenarchitektur der KulturAkademie-Ruhr, die ich im Auftrag des Trägervereins des Katakomben-Theaters entworfen habe, auch die Literaturarbeit installiert und mein Literaturbüro, das Textzentrum-Ruhr mit ins Spiel gebracht.

Damit ist die Literaturarbeit aber nicht getan und erledigt, sondern hat nur eine ideelle Basis erhalten, um auf- und ausgebaut zu werden. Nackter Wahnsinn! Aber jedem Anfang soll ja angeblich auch ein Zauber innewohnen ;-)