17. Mai 2010

Schweigen ist Gold, sagt Mann... Ich könnte mich ganz und gar vergolden lassen habe ich einer Frau in gefilter & geebnet in den Mund gelegt. Eine Frau wie in eine Tapete eingearbeitet und dem männlichen Blick ausgesetzt. Es wird ein Bildnis von ihr gemacht. Sie wird zum Bild. Das gängige Vorurteil ist, daß Frauen immer sprechen und über alles sprechen wollen, während Männer dazu tendieren sollen, Probleme auszuschweigen und schweigend auszusitzen. Meine weibliche Figur aber könnte sich ganz und gar vergolden lassen. Zu einem Bild geworden, gibt es nichts mehr zu sagen. Einige Probleme lassen sich durch Reden nicht lösen; erst recht nicht, wenn Reden zu Sprechakten wird, bei denen Angriff, Verteidigung, Rechtfertigung, Verletzung oder Abwehr im Vordergrund stehen. So kann man Probleme auch groß reden, sich immer mehr in Fallen verstricken, Dinge sagen, die man bereut oder die man "so nicht gemeint hat", wie sie beim anderen ankommen. Ja, wie hat man sie denn gemeint? Und der Versuch durch Eigeninterpretation alles zurechtrücken und ins Lot bringen zu wollen, kann nur scheitern und wird es auch. Der Rückzug ins Schweigen als sinnvolle Atempause. Einmal soll der Wortwechsel nicht als Schlagabtausch enden. Einmal nicht verletzen und nicht verletzt werden. Jedoch kann man der Gefahr, daß das Schweigen als Abbruch der Beziehungen interpretiert wird, nicht ganz entgehen. Und vielleicht akzeptiert man im Schweigen auch, daß man zum Abbild seiner selbst wird. Der Betrachtung des anderen ausgesetzt - sprach- und hilflos.
Vielleicht aber ist das Schweigen ein Sprechakt und wird als solcher auch erkannt. Jetzt nichts zerreden, lautet das Zeichen. Es könnte ein Schweigen sein, das man irgendwann irgendwo wiederfindet, wie einen alten Zeitungsartikel, den man aufbewahrt, dann aber zu lesen und irgendwo einzukleben vergessen hat. Könnte das Schweigen dann noch vergilben wie Zeitungspapier, könnte es auratisch werden und historisch. Wahrscheinlicher aber ist, daß es ein gähnendes Loch wird, ein Vakuum, in dem alles verschwindet - vielleicht ganz zum Schluß auch der Schmerz und übrig bleibt ein Bild und ein Text wie Neon bei Nacht. Erlebt habe ich es nicht. Erlebt habe ich, daß die Zeit viele Wunden heilt, Narben aber zurückbleiben und so manch eine wetterfühlig wird und immer mal wieder schmerzt.

Es geht um Liebe, um Rosenduft, um Worte, um Sprache. Dieses Mal war nicht von den berühmten Inadäquatheiten der Verliebtheit die Rede wie im Fall der Rose und der Nachtigall. Mag sich die Nachtigall in die Rose verliebt haben, in ihrer Not der unerwiederten Liebe an die Stacheln gepresst und verblutend ihr schmachtend Lied gesungen. Mag sein, daß es eigentlich zu bedenken gilt, daß es eine recht ungleiche Liebe war und die Rose gar kein Ohr besaß, die Nachtigall zu erhören. Sie schwieg, weil sie nur das Schweigen hatte, und nun klebt das Blut der Nachtigall an ihr. Sie ist zum Liebessymbol geworden so rot.
Der Name der Lesung aber rührte aus einer anderen Richtung: Der Prophet Mohammed soll nach Rosen geduftet haben. So gaben die Pfarrerin und der Pfarrer der Lydia-Gemeinde zu Dortmund ihrer Lesungsveranstaltung den Titel "Rosenduft", weil es auch um einen interreligiösen und interkulturellen Dialog gehen sollte.
Und noch bevor ich den Titel der Lesung kannte und nur wußte, daß es um das Thema Liebe gehen sollte, wählte ich unter anderem eine Textpassage aus Umberto Ecos "Der Name der Rose" aus, was nun fast platt wie die Faust aufs Auge passte.
Der junge Novize und Assistent des ehemaligen Inquisitors William von Baskerville hat in dem Kloster, in dem Mönche auf eine seltsame, wahrscheinlich verbrecherische Art zu Tode kommen, eine zufällige erotische Begegnung mit einem Dorfmädchen, das sich bei den Mönchen prostituiert. Es ist eine bilaterale Liebesbegegnung der besonderen Art, wofür der alte Mönch Adson, der sich an seine Jugend und an dieses einmalige Erlebnis erinnert, die passenden Worte sucht:

Was geschah mir? Was fühlte, was sah ich? Ich weiß nur, daß mir für meine Gefühle im ersten Augenblick jeder Ausdruck fehlte, denn es war meiner Zunge und meinem Geist nicht beigebracht worden, solche Empfindungen zu benennen. Allmählich stiegen dann andere Worte aus meinem Innern auf, Worte, die ich zu anderen Zeiten vernommen und die gewiß zu anderen Zwecken gesprochen waren, die mir jedoch wie durch ein Wunder im Einklang zu stehen schienen mit der Lust jenes Augenblicks, als wären sie konsubstantiell zu ihrem Ausdruck ersonnen.
Sowohl für tabuisierte Gedanken und Themen, Erlebnisse und Wünsche als auch für komplexe Konglomerate von vielschichtigen Problemen, die man in Klarheit gar nicht zu fassen bekommt, die passenden Worte suchen zu müssen, ist eine Notlage, in die jeder Mensch einmal gekommen ist. Wie schön, wenn die Sprache hier und da einige Gemeinplätze und feststehende Formulierungen bereit hält für das Unaussprechbare. Und wo nicht, wie in diesem Fall, den Umberto Eco so schön schildert, bedient man sich jener Redeweisen, die einem aus anderen Zusammenhängen bekannt sind und die halbwegs zu dem, was man ausdrücken möchte, passen könnten:
Und sie küßte mich mit den Küssen ihres Mundes, und ihre Liebe war lieblicher denn Wein, und der Geruch ihrer Salben übertraf alle Würze, und ihre Wangen standen lieblich in den Kettchen und ihr Hals in den Schnüren. Siehe, meine Freundin, du bist schön, siehe schön bist du...
Und am Ende seiner flammenden Rede durchsetzt vom Hohelied der Liebe resümmiert der alte Mönch:
Es gibt anscheinend eine geheime Weisheit, dank welcher Phänomene sehr verschiedener Art mit den gleichen Worten benannt werden können; es ist dieselbe Weisheit, dank welcher die himmlischen Dinge mit irdischen Namen benannt und Gott durch mehrdeutige Symbole als Löwe oder als Panther bezeichnet werden kann - und der Tod als Wunde und die Freude als Flamme und die Flamme als Tod und der Tod als Abgrund und der Abgrund als Verdammnis und die Verdammnis als Lust und die Lust als Passion.
Vielleicht aber wird irgendwann auch das Schweigen zur Passion, wenn man nicht, wie die Nachtigall todgeweiht, Lieder singen und sein letztes Tröpfchen Blut vergießen möchte.
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