17. Mai 2010Vielleicht aber ist das Schweigen ein Sprechakt und wird als solcher auch erkannt. Jetzt nichts zerreden, lautet das Zeichen. Es könnte ein Schweigen sein, das man irgendwann irgendwo wiederfindet, wie einen alten Zeitungsartikel, den man aufbewahrt, dann aber zu lesen und irgendwo einzukleben vergessen hat. Könnte das Schweigen dann noch vergilben wie Zeitungspapier, könnte es auratisch werden und historisch. Wahrscheinlicher aber ist, daß es ein gähnendes Loch wird, ein Vakuum, in dem alles verschwindet - vielleicht ganz zum Schluß auch der Schmerz und übrig bleibt ein Bild und ein Text wie Neon bei Nacht. Erlebt habe ich es nicht. Erlebt habe ich, daß die Zeit viele Wunden heilt, Narben aber zurückbleiben und so manch eine wetterfühlig wird und immer mal wieder schmerzt. Es geht um Liebe, um Rosenduft, um Worte,
um Sprache. Dieses Mal war nicht von den berühmten Inadäquatheiten
der Verliebtheit die Rede wie im Fall der Rose und der Nachtigall. Mag
sich die Nachtigall in die Rose verliebt haben, in ihrer Not der unerwiederten
Liebe an die Stacheln gepresst und verblutend ihr schmachtend Lied gesungen.
Mag sein, daß es eigentlich zu bedenken gilt, daß es eine recht
ungleiche Liebe war und die Rose gar kein Ohr besaß, die Nachtigall
zu erhören. Sie schwieg, weil sie nur das Schweigen hatte, und nun
klebt das Blut der Nachtigall an ihr. Sie ist zum Liebessymbol geworden
so rot.
Was geschah mir? Was fühlte, was sah ich? Ich weiß nur, daß mir für meine Gefühle im ersten Augenblick jeder Ausdruck fehlte, denn es war meiner Zunge und meinem Geist nicht beigebracht worden, solche Empfindungen zu benennen. Allmählich stiegen dann andere Worte aus meinem Innern auf, Worte, die ich zu anderen Zeiten vernommen und die gewiß zu anderen Zwecken gesprochen waren, die mir jedoch wie durch ein Wunder im Einklang zu stehen schienen mit der Lust jenes Augenblicks, als wären sie konsubstantiell zu ihrem Ausdruck ersonnen.Sowohl für tabuisierte Gedanken und Themen, Erlebnisse und Wünsche als auch für komplexe Konglomerate von vielschichtigen Problemen, die man in Klarheit gar nicht zu fassen bekommt, die passenden Worte suchen zu müssen, ist eine Notlage, in die jeder Mensch einmal gekommen ist. Wie schön, wenn die Sprache hier und da einige Gemeinplätze und feststehende Formulierungen bereit hält für das Unaussprechbare. Und wo nicht, wie in diesem Fall, den Umberto Eco so schön schildert, bedient man sich jener Redeweisen, die einem aus anderen Zusammenhängen bekannt sind und die halbwegs zu dem, was man ausdrücken möchte, passen könnten: Und sie küßte mich mit den Küssen ihres Mundes, und ihre Liebe war lieblicher denn Wein, und der Geruch ihrer Salben übertraf alle Würze, und ihre Wangen standen lieblich in den Kettchen und ihr Hals in den Schnüren. Siehe, meine Freundin, du bist schön, siehe schön bist du...Und am Ende seiner flammenden Rede durchsetzt vom Hohelied der Liebe resümmiert der alte Mönch: Es gibt anscheinend eine geheime Weisheit, dank welcher Phänomene sehr verschiedener Art mit den gleichen Worten benannt werden können; es ist dieselbe Weisheit, dank welcher die himmlischen Dinge mit irdischen Namen benannt und Gott durch mehrdeutige Symbole als Löwe oder als Panther bezeichnet werden kann - und der Tod als Wunde und die Freude als Flamme und die Flamme als Tod und der Tod als Abgrund und der Abgrund als Verdammnis und die Verdammnis als Lust und die Lust als Passion.Vielleicht aber wird irgendwann auch das Schweigen zur Passion, wenn man nicht, wie die Nachtigall todgeweiht, Lieder singen und sein letztes Tröpfchen Blut vergießen möchte. |
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