Uri Bülbül
13. Dezember 2005Nachrichten aus dem Büro:
Auf der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes für Studentische Kulturarbeit wurde ich am Sonntag, den 20.11.2005 in den Bundesvorstand gewählt. Ein 43-jähriger Literat- und Öffentlichkeitsarbeiter im Vorstand eines studentischen Verbandes? Der ewige Student, der für sich wieder eine neue Nische entdeckt hat? Nein, vielmehr handelt es sich in diesem Fall um das Phänomen, daß sich studentische Kulturarbeit von studentischer Selbstorganisation umwandelt in eine Kulturarbeit, die universitäts- und studentenbezogen organisiert, aber eben nicht nur von Studenten getragen wird. Denn Kulturarbeit erfordert neben Menschen, die selbst Adressaten und Rezipienten, aber keine passiven Konsumenten sein sollen, auch solche, die eine gewisse Kontinuität in die kurzlebige Fluktuation von Strukturen bringen. In den 80er Jahren wurde diese Kontinuität durchaus auch von Langzeitstudierenden gewährleistet. Man hatte mehr Zeit, sich einzuarbeiten, einige Zeit dabei zu bleiben und dann wieder andere einzuarbeiten. Diese Phasen, in denen der Stab des Staffellaufs ohne Hektik übergeben werden konnte, sind geschrumpft. Nebenbetätigungen neben dem Studium sind unerwünscht und die Leistungsanforderungen in den Studiengängen erlauben es immer weniger. In den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften hat die Verschulung Einzug gehalten. Konnten sich bis in die 90er Jahre hinein Studierende einer Doppel- oder gar Dreifachbelastung aussetzen, so änderte sich das immer mehr durch die Verschärfung der Studienbedingungen. Es gab eine Zeit, in der neben Studium und Job auch Zeit für kulturelles oder politisches Engagement übrig blieb. In geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Studiengängen gingen die Dinge teilweise ineinander über, da kulturelle und politische Aktivitäten durchaus auch etwas mit den Studieninhalten zu tun hatten. Studentische Kultur auch im Sinne von studentischer Lebens- und Arbeitsweise, die immer schon von außen neidvoll diffamiert wurde, ist nun aber im Schwinden begriffen. Die Spielräume werden enger gestellt. Die Universität ist zu einer Hochschule geworden: eine intellektuelle und Karrieredurchlaufstation mit kaum Aufenthaltszeit. Ein intellektueller Schnellimbiss. Während Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sich selbst abwickeln und aufheben, wandelt sich auch der Begriff der Kultur; Theater, Literatur oder Musik werden nicht mehr als Mittel und Möglichkeit der gesellschaftlichen und politischen Emanzipation gesehen, sondern werden immer mehr dem Bereich der Erholung und des Ausgleichs zugeordnet. Studentische Kulturarbeit aber wollte in den 70er und 80er Jahren genau das nicht sein. Organisation von Feten und Konzerten wurde nicht zu Kulturarbeit gezählt. Die Arbeit an der Kultur wurde politisch gesehen und war politisch motiviert und zielte auf die Veränderung der Gesellschaft ab. In dem Maße, wie sich in den 90ern die Bedeutung der Kulturarbeit verschob, marginalisierte sich auch der Bundesverband für studentische Kulturarbeit und begann sich hier und da selbst zu zerfleischen. Die studentische Kulturlandschaft veränderte sich. Gesellschaftsveränderungen und sozialistische Utopien spielten keine Rolle mehr, Kultur wurde mehr und mehr als eine Sache der Erholung, Unterhaltung und des Vergnügens aufgefaßt. Das bestehende System wirkte am effektivsten und perfekt. Man brauchte es nicht verändern, reformieren und revolutionieren zu wollen, sondern mußte nur der eigenen Glückseligkeit folgend sich darin am besten einrichten. Arbeitsteiligkeit und Entfremdung wurden als essentiell angesehen und akzeptiert. Persönliche Eudämonie und individuelles Karrieredenken lenkten die Potentiale des Engagements um und konzentrierten sie auf den plötzlich möglich scheinenden beruflichen Erfolg. Kultur wurde zum Kraftspender und Erholungsraum für den alltäglichen Kampf. Sollte sich da der Bundesverband für studentische Kulturarbeit einen neuen Aufgabenbereich als Dienstleister schaffen? Oder sollte er sich als ein überlebter und anachronistischer Verband auflösen? Im Jahr 2004 wurde diese Frage mehr oder weniger deutlich aufgeworfen. Ich, von der Einladung zur Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr alarmiert, schlug einen anderen Weg vor: Der Verband sollte in eine Phase der Reflektion und Reorganisation eintreten. Anfang 2005 gründete ich mit der Hilfe des linksalternativen AStAs der Ruhr-Universität Bochum kurz vor dessen Übernahme durch eine schwarz-rote Koalition der studierenden Verbände der Parteien, die eine Vorwegnahme der großen Koalition in der Bundesregierung schon im Kleinen andeutete, das Archiv für studentische Kulturarbeit des Bundesverbandes. Dieses Archiv soll nicht nur rückwärtsgewandt und museal die Dinge aufbewahren, die der Vergangenheit angehören. Wie jedes Archiv soll auch dieses eine Gedächtnisstütze und Fundgrube für Ideen sein, die die Gegenwart und Zukunft der studentischen Kulturarbeit prägen können. Die gesellschaftlichen und hochschulpolitischen Wandlungsprozesse sollen nicht alle in den Taumel der Bewußtlosigkeit stürzen. Vielmehr soll das Archiv allen einen Halt geben, die neue Ansatzpunkte des Nachdenkens für sich suchen. Denn schließlich haben die Probleme, die zu Revolten und Protestbewegungen führten, nicht aufgehört zu existieren und zu wachsen. Das Archiv hat einen konservierenden, reflektierenden und initiierenden Charakterzug. Deshalb der Gedanke Hans-Georg Gadamers als Leitlinie des Projektes: «Unser tägliches Leben ist ein beständiges Schreiten durch die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Zukunft», schreibt er in der «Aktualität des Schönen» und macht darauf aufmerksam, daß Mnemosyne, die Muse des Gedächtnisses, die Muse der erinnernden Aneignung, zugleich die Muse der geistigen Freiheit sei. Während sich junge
Studentinnen
und Studenten in den frisierten und tiefergelegten B.A. und
Master-Studiengängen zurechtzufinden versuchen, reorganisieren
sich und wachsen wieder Strukturen kritischer Intelligenz, auf die
alle als Möglichkeit zugreifen können und -da bin ich
optimistisch- bei wachsender Notlage auch zugreifen werden. Denn
geistige Freiheit wird niemanden gleichgültig lassen. |