8. April 2006

Wie die Zeit verfliegt! Unter dieses Motto könnte ich die April-Nachrichten stellen. Unter demselben Motto könnten sich aber auch alle meine Arbeiten befinden. Bin ich notorisch unpünktlich, weil ich mir immer zu viel vornehme? Was aber sollte mich antreiben, aufrecht und vital erhalten, wenn nicht die Lust auf die ausgedachten Projekte, auf die Verwirklichung der Ideen, die in Geistesblitzen auf mich einprasseln und mich vereinnahmen? Im Grunde gibt es nichts, worüber ich mich beklagen sollte in der ersten Aprilwoche. Der März endete vielversprechend, und den öden Februar könnte ich einfach vergessen. Zu viele Menschen um mich herum, und alle mit fragenden Gesichtern, bis auf die Freunde, die sich innerlich kopfschüttelnd abwandten. Meinem Februartreiben wollten sie dann doch nicht zusehen. Und in der ersten März-Hälfte eine Tyrannei der unerledigten Aufgaben, die mich zu würgen anfingen. Man kann sich das Genick auch auf Nebenschauplätzen brechen.
Ich verschaffte mir Luft. War da auch irgendwo eine gewisse Schadenfreude bei manchen, die mich sahen? Wollten sie mich in die Knie gehen sehen? Oder sah ich selbst schon Gespenster in den fragenden Gesichtern? Auf die scheußlichen Regentage möchte ich es nicht schieben. Ich mußte die Dinge ganz einfach irgendwo anpacken. Was erledigt wurde, war erledigt - und mehr braucht ein arbeitsames Leben nicht. Und was nicht erledigt wurde, muß eben noch erledigt werden. So ist das Leben im Büro.

Der März hatte mich zu folgendem Eintrag verleitet, den ich ins Netz stellen wollte, aber bisher nicht dazu kam:

Es sind der Erinnerungen viele, die einen überraschend ereilen und niederwerfen können, den Felsblock hervorzaubern und auf die Brust schleudern, den man längst weggesprengt zu haben glaubte. Es sind die Gegenstände, die zu sprechen beginnen, an das Gedächtnis appellieren und Bilder hervorrufen, Gerüche, Gefühle, Stimmen und Stimmungen. Da muß ein überlegenes Schmunzeln, ein Lächeln auf die Lippen gezaubert werden, ein verständnisvolles, ein väterliches. Man muß Nachsicht mit sich walten lassen und den Schlag parieren, den die Welt einem versetzen will. Alles verlassen und einfach weggehen, weg in die Fremde, weg vielleicht als Söldner zur Armee, weg auf eine Seefahrt, gilt nicht. Ich habe ihn gern, den süßen Schmerz des Verlassenseins. Er stimmt mich poetisch, gibt mir die Lyrik wieder, die der prosaische Alltag mit der Geliebten mir stahl. Jedes kleine Lächeln eines Freundes wird zu einem Sonnentag. Der Schmerz ist eine Droge, die man nur genießen kann, wenn man die Eitelkeit besiegt.
Mit dem Frühling kommt die Zeit der Neuordnung. Das Hetzen von Büro zu Büro, von Thema zu Thema, von Projekt zu Projekt, das rastlose Tapsen von Abenddämmerung zu Abenddämmerung am Nachmittag muß ein Ende finden. Im Frühling will die Saat aufgehen. Und nicht ohne Sorge betrachte ich den Organizer meines Handys mit den vielen Aufgaben und Terminen. Am allerwenigsten entspricht meine Arbeit dem Bild eines ruhigen Schriftstellerdaseins in einer einsamen Waldhütte oder in einer kleinen Großstadtwohnung. Ich kreise auch nicht um meine eigenen Worte, Gedanken und Geschichten. Tausenderlei Daten durchströmen die Festplatte. Ich weiß, daß dabei das Ästhetikum nicht so stockt wie mir der Atem.

Für den April habe ich mir vorgenommen, daß die Nachrichten aus dem Büro konkreter werden. Vielleicht verlieren sie dadurch auch den poetischen Unterton, was dem Projekt nur nützen kann, denn immer setzt sich die Poesie auch der Verdacht der selbstgefälligen Eitelkeit des lyrischen Ich aus. Andererseits wäre das Büro leer, wenn darin nicht ein lyrisches Ich wohnte, das in romantischen Hermeneutenhirnen sich sonnen wollte. Nicht wahr?

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